Unsere Talks zum Zazen
Ratschlag für Einsteiger
„Wenn Du es eilig hast, geh langsam. Wenn Du es noch eiliger hast, geh einen Umweg“ lautet ein Sprichwort. Wer es eilig hat und mithilfe der Meditation ganz schnell weiterkommen und eins, zwei drei Gelassenheit entwickeln möchte, wird von Zazen (der Sitzmeditation im Zen) bitter enttäuscht sein.
Denn die Wirkung von Zazen entfaltet sich erst, wenn wir geduldig und beharrlich den Boden beackern, ohne gleich auf die Früchte zu schielen. Wenn wir auch bei Regen und Wind üben, also auch an Tagen, an denen wir keine Lust haben. Wenn wir wie der Bauer, der unermüdlich die groben Steine vom Acker räumt, immer wieder unsere inneren Hindernisse (Müdigkeit, Unruhe, Unlust) überwinden und uns trotzdem auf unser Meditationskissen setzen. Irgendwann, wenn wir nicht damit rechnen, fällt uns plötzlich eine Frucht in den Schoß. Und dann heißt es: nicht stehen bleiben, sondern weiterüben.
Zum Einstieg empfiehlt es sich, mit zehn Minuten zu beginnen. Es ist besser, jeden Tag zehn Minuten zu üben und sich langsam zu steigern, als sich gleich zu überfordern und frustriert aufzugeben. Wenn das Sitzen allmählich leichter fällt, sind 25 Minuten eine gute Zeitspanne. Ein Meditationsplatz, ein Meditationstimer oder eine App und eine feste Uhrzeit helfen, in eine Routine zu kommen.
Talk vom 30.08.2021 Üben (Michael)
>>Der Sinn des Übens, im Dienst des inneren Weges, ist nicht die Gewinnung eines größeren weltlichen Seins,sondern die Verwirklichung eines höheren Seins<<.
Karlfried Dürkheim
Wer „immer strebend sich bemüht“ verfällt leicht dem Irrtum, den Erfolg seines Tuns ausschließlich sich selbst zuzurechnen, und dies umso mehr, als alles Üben einen beharrlichen Willen voraussetzt. Diesem Irrtum entgeht nur, wer sich immer wieder auf jene primären Kräfte des Lebens besinnt, die ohne unser Zutun auf sein Ganzwerden hinwirken. Diese Kräfte existieren und sie wirken, ob wir nun daran glauben oder nicht.
Der Drang des Lebens ans Licht ist die zentrale Triebkraft allen Lebens überhaupt. Wir sehen und erleben das ja jeden Frühling, wenn nach einem kalten und dunklen Winter mit den ersten Sonnenstrahlen die Gräser und Blumen aus dem Boden brechen. Wenn die kahlen Äste wieder grün werden. Wenn die Blüten knospen, aufgehen und sich aus den Blüten dann im Sommer die Früchte entwickeln bis sie reif werden. Das ist einerseits so normal, dass es uns kaum noch auffällt, andererseits aber immer wieder ein Wunder. In unserem Urlaub in Baden sind wir viel Fahrrad gefahren und gewandert, und immer wieder haben wir voll Begeisterung angehalten, und haben dann Mirabellen gepflückt oder Brombeeren und immer wieder war zu sehen, wie an einem einzigen Ast mehr Früchte hingen, als wir aufessen konnten.
Das ist nicht nur eine Analogie zu unserer Zen-Übung. Wenn wir üben, erzeugen wir nicht die Erfahrung des Seins, sondern wir machen uns nur für diese Erfahrung bereit. Genau wie die Brombeersträucher und Mirabellenbäume die Früchte nicht absichtsvoll erzeugen, sondern einfach nur zulassen, dass sie wachsen und reifen können. Es geht nicht um ein Machen, sondern um ein Zulassen dessen, was im Grund da ist und ans Licht drängt. Das Höchste, was wir in unserer Zen-Übung erreichen können, ist die Bereitschaft, sich vom Sein ergreifen zu lassen. Und üben bedeutet, sich für diese Erfahrung zu öffnen.
Das Innewerden des in uns waltenden Lebens ist etwas grundsätzlich anderes als das gegenständliche Bemerken und Begreifen. Im Bemerken und Begreifen halten wir als Begreifende das Wahrgenommen auf Abstand. Im Innewerden aber bleibt das Erlebte mit dem Erlebenden eins und verwandelt uns, indem es uns ergreift. Wo immer Erlebtes uns verwandelt, geschieht es unbemerkt im Innesein des Erlebten, nicht im gegenständlichen Haben.
Das Wort „Meditation“ stammt wie so viele unserer Vokabeln aus dem Lateinischen: „meditari“ ist eine passive Verlaufsform und bedeutet ursprünglich: „zur Mitte hin gegangen werden“. Die Auffassung dahinter ist also, dass der Übende das Wirken des Lebens an sich geschehen lässt. Aber trotzdem brauchen wir den starken Willen. Denn alles Neue ist nur so lange anregend, wie es neu ist. Aber das Neue kann sich nur entfalten und wachsen, wo Ausdauer und Beharrlichkeit ins Spiel kommt. Wir sehen das ja, wie viele Leute hier schon mit uns gesessen haben, und erst völlig begeistert waren und dann nach wenigen Wochen wieder weggeblieben sind. Man könnte fast sagen, je größer die Anfangsbegeisterung, desto wahrscheinlicher, dass die Ausdauer bald verschwindet. Üben ist leicht. Aber wirklich ein Übender zu werden schwer. Und so ist es wichtig, dass wir uns mit voller Kraft in die Übung schmeißen. Volle Pulle. Sonst kommt nichts dabei heraus.
Unsere Übung ist nicht dazu da, dass wir „etwas Schönes“ erleben. Es ist verführerisch so denken und ich ertappe mich selbst immer wieder dabei, dass ich enttäuscht bin, wenn eine längere Sitzperiode vorbeigeht, ohne dass etwas Besonderes, etwas „Schönes“ passiert ist. Aber darum geht es nicht. Unsere Übung dient dazu, weiter Richtung Licht zu wachsen. Voranzuschreiten. Wie es im Hannya Shingyo heißt: Gya tei, gya tei, ha ra gya tei: hinausgehen, darüber hinausgehen, und noch über das Hinausgehen hinausgehen.
(Quellen und zum Weiterlesen: Karlfried Graf Dürkheim: Hara)
Talk vom 22.08.2021 über das wahre Leben (Birgit)
>>Leben ist das, was passiert, während du andere Pläne machst<<. (John Lennon)
Wir sind immer wieder auf der Suche nach dem wahren, dem echten, dem wirklichen Leben. Und meistens vermuten wir es woanders. Auf keinen Fall jetzt hier. Denn das kann es ja nicht gewesen sein. Oder? Wir suchen das wahre Leben an einem anderen, schöneren, ruhigeren Ort. In der Zukunft, in einem anderen Leben, mit weniger komplizierten Menschen, ohne Krisen und Konflikte, am besten mit einem anderen Ich, einem entspannten, gelassenen, zufriedenen, am liebsten rundum glücklichen, erfüllten Ich, das idealerweise auch nicht altert.
Dieses schöne Leben hat leider einen Haken. Es ist nur ein vorgestelltes Leben und existiert ausschließlich in unserer Fantasie. Und damit sitzen wir in der Falle. Zazen ist ein Weg, uns aus dieser Falle zu befreien. Im Zazen nehmen wir Kontakt auf mit dem, was jetzt ist. Wir wenden uns dem Leben zu, das jetzt passiert. In dieser Sekunde, in diesem Raum. Mit diesen Menschen hier. In diesem Körper. Der vielleicht müde ist, schmerzt oder sich entspannt anfühlt. Wir wenden uns dem zu, was wirklich ist. Mit einer liebevollen Haltung.
In der Übung des Zazen sagen wir mit jedem Atemzug ja zu dem, was wir gerade vorfinden, in unserem Körper, in unserem Geist, in unseren Gefühlen, im Raum um uns herum. Wir können auch sagen: Wir umarmen alles, was wir vorfinden, wir umarmen die Bedingungen unseres Lebens inklusive der Vergänglichkeit, voll und ganz, und wenden uns allem zu, was das Leben gerade bereithält: Freude, Kummer, Schmerz, Stille, Unruhe. Das alles ist das Leben. Im Zazen üben wir uns in einer fürsorglichen und sorgsamen Beziehung mit uns selbst, den anderen und der Welt.
Meditation ist gelebte Fürsorge. Fürsorge in dem Sinn, dass wir uns um das kümmern, was jetzt da ist und Aufmerksamkeit braucht, dass wir aufhören, dagegen zu kämpfen und uns in ein anderes Leben zu flüchten. Dass wir da bleiben und unsere gewohnheitsmäßige Reaktivität „will ich nicht, weg damit. Brauch was anderes“ loslassen. Was nicht heißt, dass wir alles gut finden oder nichts mehr verändern. Aber wir erkennen an, was ist. Im Zen heißt es „Wenn der Geist still ist, wird die Welt wahr.“ Wenn wir üben, fürsorglich zu sein mit uns und unserem Leben in diesem Moment, wird das Leben wahr. Ein stiller Geist bedeutet nicht, dass da keine inneren Störgeräusche mehr sind. Ein stiller Geist bedeutet, dass wir in Ruhe und Frieden mit dem sitzen können, was auftaucht. Um diese Qualität von Stille geht es. Dann wird das Leben wahr. Dann gibt es keinen Grund mehr, nach einem anderen Leben zu suchen.
Im Zen geht es nicht um großartige Bewusstseinszustände, sondern um Wirklichkeitsergründung. Um da sein mit dem, was ist. Diese fürsorgliche und sorgsame Haltung, die wir üben, ist nicht auf die Matte beschränkt. Ein Zazen, das nur stattfindet, während wir montagsabends oder morgens auf der Matte sitzen, ist kein Zazen. Es ist Zeitverschwendung. Wertlos. More than wortheless. schlimmer als wertlos, würde unser Lehrer Jeff Shore sagen. Diese Übung, fürsorglich mit uns selbst, anderen und dem Leben zu sein, muss zu einer Lebenshaltung werden. Zu einer Praxis, die nicht endet, wenn wir die formale Meditationshaltung verlassen. Das einzig wahre Leben ist immer das, was jetzt gerade geschieht. Und es hängt von uns ab, ob wir eintauchen oder es verpassen.
Talk vom 19.07.2021 Zuigan ruft seinen Meister (Michael)
Meister Zuigan pflegte jeden Tag sich selbst zuzurufen: >>Meister!<< Und dann antwortete er sich selbst: >>JA! << Dann rief er sich erneut zu: >>Bist Du wach, ganz wach?<< Und antwortete wiederum zu sich selbst: >> Ja! << >>Und lass Dich nicht von anderen täuschen, zu keiner Zeit, niemals!<< >>Nein, Nein, auf keinen Fall!<<
Die Lebensdaten von Meister Zuigan Shigen sind nicht bekannt. Er hat vermutlich zwischen 850 und 910 unserer Zeitrechnung gelebt. Er war Schüler eines weiteren sehr bekannten Zen-Meisters, nämlich von Ganto. Die alltägliche Praxis von Zuigan bestand darin, sich tagtäglich „Meister“ zuzurufen. Und antwortete mit „Ja“. Dann schrie er: „Wach, ganz wach“. Und er pflegte sich dann zu antworten:“ Jawohl, ja.“
Was also treibt Zuigan da Tag für Tag? Er ermahnt sich selbst, sich selbst immer wieder dazu anzuhalten, wachsam zu bleiben, seine Tage klug und verständig zu nutzen und sich nicht ablenken zu lassen, sich nicht täuschen zu lassen. Nicht von anderen und nicht von sich selbst.
Wer ruft hier? Welche Beziehung besteht zwischen dem der ruft, und dem Meister, der gerufen wird? Wir denken, dass der Rufende das „Ich“ ist. Wir denken: „Ich rufe“. Aber was ist dieses Ich? Wir denken vielleicht, das, was wir mit „ich“ meinen, nichts anderes ist, als unser phänomenales beziehungsweise relatives Bewusstsein.
Wenn Zuigan ruft, könnten wir glauben, der Rufende sei sein „oberflächliches Ich“ und der Gerufene seine wahre Wesensnatur. Aber das ist ein Missverständnis. Vom Zen her gesehen sind sowohl der Rufende als auch der Gerufene Zuigans Wesensnatur.
Zuigan führt kein Zwiegespräch mit einer anderen, höheren Instanz wie dem „ursprünglichen“ und „eigentlichen Menschen“. Es ist ein ganz gewöhnliches Selbstgespräch. Und wenn er dabei einen „Meister“ anruft, so meint er sich damit selbst. Er will nicht „jemanden anderen“ sein. Er will sein eigener „Herr und Meister“ sein. Und deshalb verlangt er als dieser von sich selbst auch, sich nicht von „jemand anderem“, täuschen zu lassen.
Und selbst wenn „diese anderen“ Shakyamuni Buddha hießen oder Bodhidharma und wenn sie daherkämen und sagten, >>Du irrst Dich<<, will Zuigan darauf nicht hereinfallen. Das verspricht er sich selbst. Er wird sich auch von den größten Meistern der Vergangenheit nicht verwirren lassen und nur auf seine eigene Erfahrung vertrauen.
Und dieses Vertrauen, das wir auch Selbstvertrauen nennen können, ist ein wichtiger Punkt im Zen. Auch Meister Rinzai, chinesisch Linji, der Begründer des chinesischen Chan und der japanischen Rinzai-Tradition, ein Zeitgenosse von Zuigan, hat das immer wieder betont. >>Die Studenten von heute können nicht weiterkommen: Was ist los mit Ihnen? Der fehlende Glaube an sich selbst ist das, was sie blockiert. Wenn Euch der Glaube an Euch selbst fehlt, werdet ihr immer weiter taumeln. <<
Also nicht nur Meister Zuigan läßt sich nicht beirren und vertraut nur auf sich selbst. Auch wir sind dazu aufgerufen. Wir sollen zwar Zuigan nicht imitieren oder nachmachen. Aber wir sollen auf uns und unseren Weg vertrauen.
Talk vom 12.07.2021 über Verbundenheit (Birgit)
>>Alles ist verbunden. Nichts existiert für sich allein. Spräche ich nicht diese Worte, könntet Ihr sie nicht hören. Ohne die Erde, die uns trägt, ohne Luft zum Atmen –wie wollen wir leben? Wovon könnte man überhaupt sagen, es könne ohne all die anderen Dinge sein? Alle Dinge sind Teil des einen Dings. Das ist nicht erklügelt, sondern die Wahrheit.<<
T `ao Shan
Alles ist verbunden. Es ist sehr schön, wieder physisch miteinander verbunden zu sein in einem Raum und auch virtuell. In den letzten Monaten ist uns wieder deutlich geworden, wie sehr wir Verbundenheit brauchen. Wie die Erde, die uns trägt und die Luft zum Atmen.
Aus buddhistischer Perspektive kommt unser Leiden vor allem daher, dass wir uns als getrennte Wesen wahrnehmen, als abgeschlossene Einheit, als ein Ich, das sich in der Welt behaupten muss, sich durchsetzen muss, es schaffen muss. Und das ist oft mit der Idee verbunden, autonom sein zu wollen, auf niemanden angewiesen zu sein, es allein hinkriegen zu wollen oder zu müssen. Es ist immer ganz viel Müssen im Spiel. Aber dieses Ich als feste, unveränderliche Größe, dieses Ich, das alleine existiert, ist eine Illusion. Das Ich ist ein Konstrukt, das unser Verstand immer wieder neu aufbaut, und es fühlt sich ganz real an, aber in Wirklichkeit gibt es kein festes Ich und schon gar kein in sich abgeschlossenes, wir sind verbunden mit allem, und wir könnten allein als getrennte Wesen gar nicht überleben. Wir sind verbunden mit der Natur, mit dem Kosmos, mit anderen. Ohne Sonne, Wasser, Erde wären wir nicht lebensfähig und ohne Menschen, die sich um uns kümmern, auch nicht, jedenfalls solange wir klein sind. Aber auch im Erwachsenenleben brauchen wir andere.
Wir sind auf Verbindung ausgerichtet von unserer inneren Software. Und Verbundenheit ist ein Schlüssel für viele positive stärkende Gefühle wie Leichtigkeit, Liebe, Mitgefühl, Freude. Ohne Verbundenheit können wir uns nicht weiterentwickeln, nicht wachsen. Unser größter Schmerz liegt im Gefühl von Trennung, das beschert uns die schwierigsten Gefühle. Wenn wir uns getrennt fühlen von etwas, was uns wichtig ist und Halt gibt, erleben wir Gefühle des Abgeschnitten seins.
Wenn wir innerlich unter Druck und Stress geraten, ist ein ganz natürlicher Impuls, dass wir uns verbinden wollen, Kontakt suchen. Allerdings wenn wir schlechte Erfahrungen gemacht haben, wenn zum Beispiel unsere Eltern nicht einfühlsam waren, wenn wir als Kinder in einer Notsituation waren, lernen wir, uns unter Stress zurückzuziehen. Das Schwierige daran ist, dass wir auch aus dem Kontakt gehen mit uns selbst, die Verbindung nach innen verlieren. Dann entstehen Mangelgefühle. Und das ist das Verrückte: Im Zustand mangelnder Verbundenheit können wir uns nicht gut abgrenzen. Das klingt erstmal wie ein Widerspruch. Aber es ist so. Wenn ich nicht mit mir selbst verbunden bin, nicht in Kontakt bin mit meiner Innenwelt, mit dem, was ich gerade fühle, kann ich auch meine Grenzen und Bedürfnisse nicht spüren und auch die von anderen nicht. Weil wir im unverbundenen Zustand nicht präsent sind. Das üben wir ja in der Meditation, im Zazen, präsent zu sein, da zu sein und verbunden zu sein mit allem, was jetzt gerade da ist. Auch mit etwas, das größer ist und unser kleines Ich übersteigt. In der Meditation können wir spüren, dass wir eingebettet sind in einen größeren Zusammenhang. Die Meditation öffnet uns und lässt uns Verbundenheit erfahren. Wie Tao Shan sagt: „Alle Dinge sind Teil des einen Dings. Das ist nicht erklügelt, sondern die Wahrheit.“
Talk vom 05.07.2021 keine Erleuchtung
>>Meditiere nicht, um eines Tages Erleuchtung zu finden.
Meditiere, um Dein Leben jetzt reicher zu machen.
Meditiere beim Sitzen und Gehen,
wenn Du Deine Mutter umarmst oder Dein Kind versorgst.
Meditiere, um Freude in dein Dasein zu bringen<<.
(Shen-Ts’ing)
Warum sitzen wir? Warum sitzt Du? Wie ist Deine Antwort?
Suchst Du Erleuchtung? Möchtest Du wissen, wie Dein Angesicht aussah, bevor Du geboren wurdest? Diese Formulierung meint in der Zen-Sprache nämlich das Gleiche. Willst Du den Kern Deiner Wesensnatur erfassen? Deine Buddha-Natur ergründen? Dein „wahres Selbst“? All diese Redewendungen umschreiben das Phänomen, das Erleuchtung meint.
Wenn das der Grund für Dein Sitzen ist, wärst Du auf dem Holzweg. Jedenfalls rät Shen-Ts’ing davon ab. Er ermuntert uns, im Jetzt zu bleiben. Dein Leben jetzt, mit diesem Atemzug reicher zu machen. Und er rät, dies nicht nur während der Sitzmeditation zu tun, sondern diese Haltung, diese Bewusstheit, diese Aufmerksamkeit, neudeutsch sagen wir auch oft „Achtsamkeit“, in den Alltag zu holen. Und bei jeder Tätigkeit zu üben. Auszuüben. Zu Praktizieren. Schöner Rat. Haben wir ja auch schon bei verschiedenen Gelegenheiten empfohlen.
Was aber, wenn das nicht klappt? Wenn es uns nicht gelingt, die Übung in den Alltag zu holen? Oder, vielleicht noch schlimmer, oder blöder, wenn wir nicht das Gefühl haben, oder das Gefühl bekommen, dass unser Leben „jetzt“, in diesem Augenblick, reicher wird?
Ich habe mit Birgit Mitte Juni ein sechs-Tages-Retreat online gesessen. Wir waren per zoom mit verschiedenen Gruppen auf der ganzen Welt verbunden. Mit Leuten in New York, in Kanada, in Mexiko, in Australien und natürlich auch in vielen europäischen Städten: London, Birmingham, Budapest, und, und, und. Eigentlich eine tolle Sache. Nur leider wollte sich zumindest bei mir nicht das dazu passende Gefühl einstellen. Ich hatte die ganzen sechs Tage vor allem ziemliche Schmerzen: im Knie, im Gesäß, im Rücken. Kein Samadhi. Keine Versenkung. Erst recht keine tiefe Versenkung. Und auch keine Einsicht. Noch nicht mal den Hauch vom Schimmer einer Ahnung von Einsicht.
Was macht man dann? Es wäre natürlich schön, in der Situation das aufzubringen, was wir hier auch gern empfehlen: Gelassenheit. Aber ich muss zugeben, dass das auch mit der Gelassenheit nicht so gut geklappt hat. Es hat sich ein ziemlich tiefer Frust bei mir eingestellt. Das ist natürlich einerseits unschön. Aber andererseits – Nun gut, dann muss ich mich sehr weit von mir wegstellen und von sehr weit draußen auf mich draufgucken: und dann kann ich sagen: das gehört dazu. Beziehungsweise, noch mehr: das muss vielleicht sogar so sein.
Wie es in einer Zen-Geschichte heißt: Joshu fragt den alten Meister Nansen: „Was ist der Weg?“ Und Nansen antwortet: „Wenn Du ihn suchst, hast Du ihn schon verloren“. Oder, wie ich neulich schon mal eine andere Geschichte zitiert habe: >>Ein Mönch fragte Xiang-lin: „Was ist der Sinn dessen, dass unser Schulgründer aus dem Westen gekommen ist?“<< Also, mit anderen Worten: „Was ist der Sinn dessen, was wir in unserer Praxis tun?“ Und Xiang-lin antwortete: „Lange sitzen, müde werden!“ Zwar hat Xiang-lin nichts von Rückenschmerzen und Frustration gesagt, aber das wohl miteingeschlossen, ins Müde-werden: Nach nichts suchen, nichts erwarten, nichts erhoffen. Sich damit abfinden, dass Du am Ende des Tages einfach nur müde sein wirst. Auch das gehört zu unserer Zen-Praxis.
Talk vom 28.06.2021 über Atem (Birgit)
„Ich schöpfe Atem, kehre wieder auf die Insel in mir. Wie herrlich die Bäume dort. Wasser gibt es und Vögel, im Schein der Sonne die frische Luft. Ich atme aus, genieße die Sicherheit.“ (Linji)
In der Übung des Zazen bringen wir Körper, Atem und Geist zusammen. Oder besser gesagt, wir erinnern uns daran, dass Körper, Atem und Geist eine Einheit sind. Im stillen Sitzen, wenn wir wirklich entspannt und aufrecht sitzen und dem Atem folgen, können wir diese Einheit, die im Gewusel des Alltags verlorengeht, spüren. Eigentlich brauchen wir nichts Besonderes zu tun. Es reicht, wenn wir vollkommen da sind und uns des Atems bewusst sind. Der Atem atmet sich selbst. Wir müssen nichts tun, nur da sein und unsere Energie auf das richten, was ohnehin dauernd geschieht, sonst wären wir tot.
Eins werden mit dem Atem, das ist die Empfehlung im Zazen. Nichts ist wichtig außer diesem Atemzug jetzt. Wir denken nicht über den Atem nach, stellen ihn uns nicht vor, sondern üben, eins damit zu sein. Ohne etwas zu forcieren. Jeder hat seinen eigenen Rhythmus. Und das ist in Ordnung. Mit der Zeit merken wir, dass der Geist allmählich etwas ruhiger wird, wenn wir uns auf den Atem eintunen. Und indem wir uns eintunen, geschieht es ganz von selbst, dass der Atem natürlich fließt und der Akzent mehr auf dem Ausatem liegt und der Einatem ganz natürlich kommt, ohne dass wir uns sorgen müssen. Nach einer kleinen Pause, einem Moment der Leere, des Anhaltens, und in diese Pause können wir uns hinein entspannen. Wenn wir wirklich voll beim Atem sind, entsteht Freude. Eine Freude, die darauf beruht, dass wir in diesem Moment eins sind mit dem Atem und nicht nach irgendetwas anderem suchen. Die Freude, voll und ganz da zu sein bei dem, was gerade geschieht. Wenn diese Freude auftaucht, wissen wir, dass wir in der richtigen Richtung unterwegs sind.
Am Anfang müssen wir unsere Aufmerksamkeit immer wieder auf den Atem lenken, uns daran erinnern, die Aufmerksamkeit zurückzubringen zum Atem. Es braucht Zeit, bis der suchende Geist wirklich zur Ruhe kommt. „Gemütsruhe liegt jenseits des Endes der Ausatmung. Wenn Ihr also sanft ausatmet, ohne dass ihr auszuatmen versucht, dann tretet Ihr in die vollständige, vollkommene Ruhe eures Geistes ein.“ (Shunryu Suzuki)
Man kann das natürlich auch neurobiologisch erklären: Der Ausatem fällt in die Zuständigkeit des parasympathischen Nervensystems, Das sorgt für Ruhe und Regeneration senkt die Herzfrequenz. Eine längere Ausatmung ist entspannender. Das ist die trockene Erklärung. Graf Dürckheim hat es poetisch ausgedrückt und die Erfahrung des Atems in die Formel gefasst:
Sich hergeben
Sich hingeben
Sich aufgeben
Sich neu wiederfinden.
Wir können sagen: Im Atem liegt das ganze Geheimnis des Lebens. Kein Grund, noch weiterzusuchen. Symbolisch gesehen ist in einem einzigen Atemzug der ganze Weg enthalten. Oder wie Linji sagt: „Ich schöpfe Atem, kehre wieder auf die Insel in mir.“
Talk vom 21.06.2021 über Sterben und Tod (Michael)
>>Da einzig der Tod gewiss, der Zeitpunkt des Todes aber ungewiss ist, was soll ich tun<<?
>>Da einzig der Tod gewiss, der Zeitpunkt des Todes aber ungewiss ist, was soll ich tun<<? Was machen wir mit so einem Satz? Beziehungsweise: Eigentlich ist das ja eine Frage: Wie antworte ich auf solche eine Frage? Vielleicht verstehe ich sie zunächst intellektuell und dann antworte ich darauf ganz rational. Dann kann ich sagen, na ja, es gibt ja eine statistische Lebenserwartung. Statistisch betrachtet habe ich dann noch mindestens 16 Jahre vor mir. Und da mein Vater die Neunzig erreicht hat und meine Mutter mit fast 95 immer noch recht fit und agil ist, vielleicht erreiche ich auch die Neunzig. Oder werde noch älter. Außerdem lebe ich ziemlich gesund, mache viel Sport und Chi Gong. Also sieht es doch wahrscheinlich ganz gut aus, oder?
Aber das Leben schert sich nicht um Statistik und um Wahrscheinlichkeiten. Auch nicht der Tod. Unser Körper ist so verletzlich. Ein Knochengerüst, innere Organe, die für den Blutkreislauf sorgen, für Verdauung und Atmung. Alles umhüllt von einer dünnen Haut. Es braucht nicht viel, um das oder einen Teil davon zu zerstören.
Jedes Mal, wenn wir eine Straße überqueren, aufs Fahrrad steigen, eine Reise antreten, riskieren wir unser Leben. Erstaunlich ist daher eigentlich eher, dass wir bisher so alt geworden und dabei noch so gesund geblieben sind. Und ist es nicht noch erstaunlicher, dass wir überhaupt hier sind? Existieren?
Nichts und niemand garantiert uns, dass wir nachher lebendig nach Hause kommen. Dass wir morgen oder nächste Woche noch leben. Allein das ist gewiss.
Soweit meine rationalen Überlegungen. Aber eigentlich wollte ich etwas ganz anderes sagen: Nämlich, dass diese rationalen Überlegungen nicht viel weiterhelfen, wenn das Leben oder der Tod spontan dazwischenfunken. Das haben wir erst letzte Woche erlebt. Unser Nachbar Micha, vermutlich Ende vierzig, Anfang fünfzig, den wir seit unserem Einzug, also seit etwa 15 Jahren, vom Sehen kennen, mit dem ich aber erst seit ein paar Wochen angefangen habe, gelegentlich ein paar Worte zu wechseln. Der hat letzten Donnerstag mit dem Wasserschlauch unser Vorgärtchen gewässert und ist plötzlich umgefallen. Die Passanten, die vorbeigekommen sind, wussten nicht, was zu tun ist, andere Nachbarn, die dazugekommen sind, wussten es auch nicht. Und bis ich mich endlich mal in Bewegung gesetzt hatte, war die Feuerwehr schon da. Aber die konnte auch nicht mehr viel tun, Herzmassage, Medikamente, dann haben sie ihn mitgenommen und wir haben geahnt, dass er nicht mehr zurückkommen würde. So ist es dann auch gewesen. Am Tag darauf haben wir erfahren, dass er in der Nacht gestorben ist.
Was heißt das für unsere Zen-Praxis? Ich habe darauf keine Antwort. Nur vielleicht soviel: Diese rationalen Berechnungen und Kalkulationen und Hoffnungen über unser Leben dienen doch wahrscheinlich nur dazu, uns das Thema vom Leib zu halten. Wenn wir das alles wirklich an uns heranlassen, können wir nur versuchen, das Leben in allen Facetten an uns heranzulassen und jede Facette zu begrüßen. Wir sollten uns unsere eigene Vergänglichkeit und die unser Lieben so oft es geht vor Augen führen. Das sollten wir tun, da einzig der Tod gewiss, der Zeitpunkt des Todes aber ungewiss ist.
(Quellen und zum Weiterlesen: Stephen Batchelor: Buddhismus für Ungläubige)
Talk vom 14.06.2021 über Gedanken
„Wir sind, was wir denken,
Alles, was wir sind,
entsteht aus unseren Gedanken.
Mit unseren Gedanken formen wir die Welt“.
Buddha
Sobald wir uns in die Meditation begeben und versuchen, still zu werden, erleben wir in der Regel ein Feuerwerk von Gedanken. Der Affengeist läuft zur Hochform auf und springt von Liane zu Liane. So schnell können wir gar nicht gucken. Gedanken an das, was schwierig war, Gedanken an das, was alles noch zu tun ist. Fantasien, was wir essen könnten, wenn die Meditation vorbei ist und was wir im Urlaub machen wollen. Und, und, und… Das alles ist kein Problem, wenn wir nicht einsteigen und dem endlosen Strom der Assoziationen und Fantasien folgen. Es ist kein Problem, wenn wir uns nicht mit den Gedanken identifizieren. Aber allein schon die Formulierung meine Gedanken, die wir gerne benutzen, zeigt, dass wir genau das tun. Wir identifizieren uns, wir halten uns für den Denker, die Denkerin und die Gedanken, die im Geist auftauchen, für unsere persönlichen Gedanken, die wir aktiv produzieren, auf die wir ein Copyright haben, in die wir manchmal auch verliebt sind, weil sie uns vielleicht klug erscheinen oder die wir loswerden wollen, weil sie unangenehm sind und wir sie schon hundertmal gedacht haben.
Aber wenn wir ehrlich sind, erfahren wir in der Meditation, dass nicht wir denken, sondern dass es denkt und wir keine Kontrolle haben. Aber Gedanken sind uns innerlich so nah, dass es uns schwerfällt, uns davon zu distanzieren. Wir verwechseln sie mit der Wirklichkeit. Und damit formen wir unsere Welt und nehmen alles wahr durch die Gitterstäbe unserer Gedanken, Bewertungen und Vorstellungen und sehen deshalb nur einen winzigen, verzerrten Ausschnitt. Aber Gedanken sind mentale Ereignisse. Mehr nicht. Wellen in unserem Geist. Wir wissen nicht, wo sie herkommen. In der Meditation bewegen wir uns von der Oberfläche in die Tiefe. Wir werden uns der Ebene bewusst, die unter der hektischen Gedankenaktivität liegt. Der Ebene in uns, die überhaupt wahrnehmen kann, dass da Gedanken sind. Was ist das, was wahrnimmt? Das ist die Frage im Zen. Was ist das?
Das, was wir in der Tiefe sind, ist schon still. Wenn wir die Gedanken in Ruhe lassen, nichts damit machen, ist alles gut. Im Zazen, heißt es, soll unser Geist sein wie der weite Himmel, dem es egal ist, ob viele oder wenige Wolken da sind. Der Himmel bleibt der Himmel. Unser ursprüngliches Wesen bleibt unser Wesen.
Shunryu Suzuki hat gesagt: Wenn Ihr Zazen praktiziert, versucht nicht, Euer Denken anzuhalten. Lasst es von selbst aufhören. Wenn euch etwas in den Sinn kommt, lasst es herein und wieder hinausgehen. Es wird nicht lange bleiben. Es scheint, als würde etwas von außen in euren Geist kommen, aber in Wirklichkeit sind es nur die Wellen eures Geistes, und wenn euch diese Wellen nicht stören, werden sie allmählich ruhiger und ruhiger werden.
Wir brauchen das Denken nicht anzuhalten. Aber wir können uns eine Pause gönnen von unserem inneren Planungsapparat. Es gibt jetzt nichts zu planen, zu überlegen, zu tun. Wir wechseln in einen anderen Modus. Wir analysieren nichts. Wir versuchen nicht, alles mit dem Verstand zu erfassen. Wir sind einfach da und lauschen innerlich und schauen. Auf diese Weise kommen wir uns selbst, wer immer das ist, wesentlich näher, als wenn wir verkrampft über uns nachdenken. Wir sollten alles vergessen, was wir zu sein glauben, und uns für das öffnen, was jetzt ist.
Talk vom 07.06.2021 Lange sitzen, müde werden (Michael)
>>Ein Mönch fragte Xiang-lin [Schi-än-lin]: „Was ist der Sinn dessen, dass unser Schulgründer aus dem Westen gekommen ist?“ Xiang-lin sagte: „Lange sitzen, müde werden!“
Xiang-lin war ein Schüler und Nachfolger von Yun-men [Yün-men] und lebte von 908-987 unserer Zeitrechnung. 18 Jahre lang hat er seinem Lehrer gedient und soll dabei sämtliche bedeutende Aussprüche Yun-mens mitgeschrieben haben und gesammelt haben, vermutlich entgegen dessen Anweisungen. Eine Legende besagt, er habe sich dafür sogar ein Gewand an Papier anfertigen lassen, um in jeder Situation möglichst unverfänglich Notizen machen zu können.
Das Zitat erscheint uns vielleicht zunächst ziemlich harmlos. Vielleicht sogar banal!? Aber es hat es in sich! Was passiert bei dem kurzen Wortwechsel? Der Mönch stellt die Frage, die im Zen-Buddhismus immer wieder in allen Variationen gestellt wird: „Warum kommt unser Gründer Bodhidharma aus dem Westen?“ Das ist eine verklausulierte Frage und bedeutet die Frage nach dem Sinn des Zazens überhaupt. Warum sitzen wir? Was soll das? Warum tun wir uns das an? Was bringt uns das? Der Mönch hat diese Frage wahrscheinlich nicht ironisch gestellt, sondern in höchster Not: es war ihm bitterernst damit.
Doch anstatt eine vernünftige Antwort darauf zu geben, wechselt Xiang-lin die Ebene. Er erklärt nicht die Warum-Frage, sondern beschreibt nur rein äußerlich die Folgen der Zen-Meditation. Denn wenn man während eines Sesshins viele Tage viele Stunden lang nur sitzt, weiß keiner was passiert. Das Einzige, was man sicher wissen kann, ist, dass man nach langem Sitzen müde wird. So unspektakulär ist Meditation. Alles, was mit Sicherheit herauskommt, ist Müdigkeit. Und manchmal kommt – wie wir wissen – ja auch nur Müdigkeit heraus, wenn wir sogar nur kurz sitzen. Wie wir heute Abend, drei Runde. Und schon sind wir müde. Welch ein Desaster.
Eine Katastrophe, zumindest auf den ersten Blick. Denn bei genauerem Hinschauen ist die Antwort Xiang-lins eine tiefschürfende Antwort. Es ist genau die Antwort, die der Meister aufgrund seiner Einsicht nur geben kann: Der Sinn der Meditation erfüllt sich darin, dass Du währenddessen nach nichts suchst, nichts erwartest, nichts erhoffst. Dass Du Dich damit abfindest, dass Du am Ende des Tages einfach nur müde sein wirst.
Keine Erleuchtung, kein Nirvana, keine endgültige Befreiung. Keine Erkenntnis und keine tiefe Einsicht, nach dem Ursprung aller Dinge. Kein Wissen um Dein Angesicht, bevor Du geboren wurdest. Keine Wesensschau. Nichts suchen. Nichts wollen. Erst wenn Du diese Konzepte alle aufgegeben hast, strebst Du wirklich nach nichts. Auch nicht nach Buddhaschaft. Und eben darin besteht dann Deine tatsächliche Buddhaschaft. Damit erweist sich Xiang-lin als Meister, der mit einem einzigen Satz, einem scheinbar banalen Satz, das Brett vorm Kopf des Mönchs und unser eigenes Brett vorm Kopf zerschlägt.
Xiang-lin ist im Wortsinn radikal bis auf die Wurzel. Er kümmert sich nicht um die Glaubenssätze und Vorschriften des traditionellen Buddhismus. Er lässt den Dingen seinen natürlichen Lauf: Wenn Du lange sitzt, wirst Du müde. Wenn wir seine Beschreibung der Verhältnisse auch als Anweisung oder Empfehlung lesen, dann entsprechen sie dem daoistischen Wu-Wei, dem Nicht-Handeln, das sich mit der Selbstverständlichen begnügt, statt nach den Sternen der Erleuchtung zu greifen.
(Quellen und zum Weiterlesen: Bi-Yan-Lu, aus dem Chinesischen übersetzt und kommentiert von Dietrich Roloff, S.165ff.)
Talk vom 31.05. 2021 Freunde und Gefährten (Birgit)
Einmal rief Ananda, ein Cousin und langjähriger Schüler des Buddha, nach tiefer Meditation aus: Spirituelle Freundschaft ist das halbe spirituelle Leben.“ Daraufhin ermahnte ihn der Buddha freundlich: "Nein, Ananda, sage das nicht. Spirituelle Freundschaft ist nicht das halbe, sie ist das ganze spirituelle Leben!"
Seit vielen Monaten, für einige sind es schon Jahre, üben wir gemeinsam Zazen. Ich weiß nicht, ob wir Freunde sind. Aber wenn wir hier gemeinsam sitzen und die Woche in Kraft und Stille beginnen, jeden Montagabend, dann verhalten wir uns wie Freunde, die sich gegenseitig unterstützen und ermutigen durch ihr bloßes Dasein im gemeinsamen, im Moment virtuellen Raum. Denn wer weiß, ob wir es sonst Montagabend auf unsere Meditationsmatte schaffen würden.
Zazen wirkt erstmal wie eine einsame Geschichte. Wir sitzen auf unserer Matte allein mit uns und unserem Atem, unseren Gedanken und Gefühlen, unseren Körperempfindungen, die uns dazwischenfunken. Diese Form des Sitzens ist die radikalste Form, sich selbst zu begegnen, die ich kenne. Ein Zenmeister wurde einmal gefragt: „Was ist das größte Wunder in der Welt? Und er antworte: Ich sitze hier alleine mit mir selbst.“ Und das kann niemand für uns tun. Das können wir nur selbst. Der Weg ist jedem von uns. Oder anders gesagt: Es gibt keinen Weg irgendwo da draußen, wir selbst sind der Weg. Aber ob wir auf diesem Weg bleiben, ob wir wirklich weiter Energie reingeben, den Weg, der wir selbst sind, tiefer zu erforschen, hängt nicht nur von uns ab, sondern auch davon, ob andere uns helfen. Wir brauchen Menschen, die den Weg schon ein Stück weiter gegangen sind und uns inspirieren und ermutigen, und wir brauchen dieses Gefühl, da sind auch noch andere, die mühen sich auch manchmal ab, ihren Geist zur Ruhe zu bringen und kämpfen genau wie wir mit dem Bienenschwarm im Kopf oder mit eingeschlafenen Beinen.
Im Zen und in allen buddhistischen Richtungen hat deshalb Sangha, das bedeutet Gemeinschaft oder Gruppe, eine herausragende Bedeutung. Mit Freunden, mit Gefährten, übt es sich leichter. Es ist interessant, dass aktuelle wissenschaftliche Studien belegen, welche herausragende Bedeutung Freundschaft für unsere Gesundheit hat. Es ist nicht das Bio-Gemüse, der Sport und das Nichtrauchen, was uns langfristig hilft, gesund zu bleiben. Das ist auch gut, aber es sind vor allem stabile, unterstützende Beziehungen und das Gefühl, eingebunden zu sein in eine Gemeinschaft. Insofern belegt die Forschung nochmal, was seit Jahrtausenden intuitives Wissen ist. Für mich ist aber Sangha, Gemeinschaft, noch größer. Es sind nicht nur die, mit denen wir gemeinsam meditieren, die uns unterstützen, sondern auch und gerade Menschen, die mit Meditation nichts am Hut haben. Menschen, die uns vielleicht nerven, auf die Palme bringen, uns extrem herausfordern. Die gehören auch zur Sangha und unterstützen uns auf eine andere Weise. Ich hatte gerade eine Fortbildung und habe eine neue Methode im Coaching gelernt, war in einer Praxisgruppe, wir haben geübt, meine Klientin hat es mir dermaßen schwer gemacht, ich war zwischendrin am Ende meiner Nerven und habe eine richtig schlechte Beratung gemacht, war sauer auf sie, weil sie mir die Performance vermasselt hat. Und dann habe ich gemerkt, wie viel ich über mich gelernt habe, über meine Ungeduld, meinen inneren Druck, meine Urteile. Diese schwierige Klientin hat mir ein echtes Geschenk gemacht. Mit Gleichgesinnten zu üben, hilft uns, mit denen umzugehen, die völlig anders ticken, uns an unsere Grenzen bringen und auch die als unsere Lehrer anzunehmen, weil sie uns den Spiegel vorhalten.
Talk vom 17.05.2021 schwierige Gefühle (Michael)
>>Ein Samurai trat einst an Meister Hakuin heran und fragte: „Was sind Hölle und Himmel“? Hakuin maß den Krieger mit einem kurzen Blick und fuhr ihn an: So heruntergekommen und armselig, wie Ihr seid, würde Ihr doch nichts verstehen“. Den Samurai packte der Zorn und er zog sein Schwert. „Das“, sagte Hakuin, ist die Hölle“. Dieser eine Satz öffnete dem Samurai schlagartig die Augen und er verstand. Voller Dankbarkeit verneigte er sich vor dem Meister. Hakuin sagte: „Und dies, dies ist der Himmel.“<<
Kommt uns das bekannt vor? Natürlich sind wir keine Schwertkrieger, keine Samurais. Aber sind wir nicht manchmal auch so schnell auf die Palme zu bringen? Schnell auf Hundertachtzig? Irgendjemand berührt einen wunden Punkt von uns, drückt auf den berühmten Knopf, und schon spüren wir, wie uns der Kragen schwillt. Natürlich ziehen wir nicht unser Schwert, weil wir gar keins haben. Auch ohne Schwert oder Handfeuerwaffen wie im Wilden Westen können wir dann ausrasten. Wütend werden. Denjenigen, der uns da so getroffen hat, zumindest anbrüllen.
Was passiert in solchen Augenblicken mit uns? Schlagartig verlieren wir unsere Ruhe und unsere Klarheit. Unsere Gefühle stürzen uns innerhalb von Sekunden in den Abgrund. Wir handeln wie ferngesteuert. Werden zu Marionetten unserer Muster und Programme. Wie der Samurai aus unserer Geschichte.
Man muss nicht unbedingt ein Rinzai-Meister wie Hakuin sein, um jemandem die Hölle zu zeigen. Es genügt, die Schwachstellen seines Gegenübers zu kennen. Man muss wissen, welche Knöpfe man drücken muss. Wenn man weiß, dass jemand bei einem bestimmten Thema sofort gereizt reagiert, muss man nur dieses Thema ansprechen, und schon gerät der andere in Rage. Oder in Angst, Wut, Verzweiflung, Hass. Das ist die Hölle unserer Psyche. Doch nicht unsere wahre Wesensnatur. Der Höllenzustand ist der Zustand des Leidens. Der Zustand der Unfreiheit. Wir reagieren. Statt zu handeln.
Als der Samurai kurz davor ist, sein Schwert zu gebrauchen, ruft ihn Hakuin zur Wachheit: „Da! Wo Du jetzt bist, das ist die Hölle!“. Bei diesen Worten erwacht der Samurai zur Wirklichkeit. Sie öffnen ihm die Augen. Das Auge der Wachsamkeit, das Auge der Bewusstheit, das Dharma-Auge. Und auf der Stelle verwandelt sich seine Wut in Dankbarkeit. Spontan verneigt sich der Samurai vor Hakuin und dieser bestätigt ihm nun: „Das da ist der Himmel.“
Darum geht es im Zen. Darum geht es bei unserer Meditation. Zur Wirklichkeit zu erwachen. Durch Wachheit. Wachsamkeit. Bewusstheit. Unsere wahre Übung heißt Aufmerksamkeit. Wachheit und Aufmerksamkeit sind das Wesen unserer Zen-Übung. Deshalb hört unsere Übung auch nicht auf, wenn wir uns von unserem Bänkchen und Kissen erheben. Auch und gerade im Alltag benötigen wir Aufmerksamkeit und Wachheit. Unser Zen-Lehrer Jeff Shore spricht immer von der „konstanten Praxis“. Das ist damit gemeint. Dass die Übung immer weitergeht. Und sich nicht unterscheiden soll von dem Teil, den wir „Meditation“ nennen.
Viele Zenmeister sagen, dass die emotionalen Barrieren die schwierigsten Hürden sind, die es zu nehmen gilt. Unsere Emotionen halten uns entweder gefangen oder sie gehen mit uns durch. Und trotzdem wäre es falsch, sie deshalb zu unterdrücken. Unterdrücken hilft nie. Wir müssen sie uns anschauen. Registrieren. Eins mit ihnen werden. Sie annehmen.
Gefühle entstehen, dauern relativ kurz an und vergehen wieder. Das können wir beobachten. Und dabei gelassen bleiben. Wach. Aufmerksam. Ruhig. Wach. Aufmerksam. Ruhig. Wach. Aufmerksam. Ruhig.
(Quellen und zum Weiterlesen: Jochen Niemuth: Das Auge der Erleuchtung)
Talk vom 10.05.2021 Über Risse in uns allen (Birgit)
„There is a crack in everything. That’s how the light gets in.” (Leonard Cohen)
„Es gibt einen Riss in allem. So kommt das Licht herein.“ Was hat das mit Zen zu tun? Ich weiß nicht, wie Leonard Cohen diese Zeile verstanden hat und ob sie wirklich etwas mit seiner Zenpraxis zu tun hatte. Ich vermute es. Mich begleitet diese Liedzeile schon lange. Sie drückt etwas aus, was ich immer schon gefühlt habe, aber ich hätte es nicht in Worte fassen können. Es geht um Verletzlichkeit. Verletzlichkeit hat keinen guten Ruf. Wir möchten lieber geschützt sein, weniger verwundbar.
Aber es sind oft die Risse in unserem Leben, die uns dazu bringen, uns auf die Suche zu machen nach etwas, was trägt. Wenn etwas zu Ende geht, etwas kaputt geht, sind wir durchlässig und offen für neue Antworten. Wenn wir uns zu sehr schützen, kann das Licht nicht hereinkommen. Und in gewisser Weise üben wir im Zazen auch, um verletzlich zu werden, um uns zu öffnen, unseren Schutzpanzer mit jedem Ausatem schmelzen zu lassen, durchlässig zu werden. Damit das Leben uns berühren kann. Damit die Stille uns berühren kann. Und das Licht hineinfallen kann.
Und das ist gar nicht so leicht, denn viele von uns haben ein Problem mit offen sein, mit Empfangen, mit Annehmen. Ich hatte ein Gespräch mit dem amerikanischen Psychotherapeuten und Meditationslehrer John Amodeo. Und er sagte: Wir haben so viele subtile Abwehrmechanismen, um die Freundlichkeit und Fürsorge von anderen abzuwehren. Wir sagen schnell „Danke, nicht nötig“, „Danke, geht schon, ich schaffe das alleine“, und verpassen so einen Moment, in dem Intimität und Verbundenheit entstehen könnte. Ich kenne das gut von mir, wenn jemand etwas sehr Nettes für mich tut, dann bin ich berührt und gleichzeitig irgendwie beschämt, und dann will ich schnell zur Tagesordnung übergehen. Wir gönnen uns diese Momente nicht. Dabei müssten wir nur einen tiefen Atemzug nehmen, das Gute, das uns gerade angeboten wird, in uns aufnehmen, es genießen. Aber wir ziehen oft innerlich eine Mauer hoch.
Vielleicht tauchen Sätze auf wie: „Ich muss alles alleine schaffen“, oder: „Wenn ich etwas annehme, muss ich mich revanchieren, etwas zurückgeben.“ Im Geben und im Tun fühlen wir uns sicherer. Da haben wir die Kontrolle. Aber wir müssen auch lernen zu empfangen. Und in der Meditation können wir üben, rezeptiv zu sein. Nichts tun, nicht aktiv sein, da sein und die Antennen öffnen und das Leben reinlassen. Die Geräusche empfangen, die Stille, das Gefühl getragen zu werden vom Boden, jetzt in diesem Moment alles zu haben, was wir brauchen.
„Wir glauben, dass wir ganz aus eigener Kraft leben, aber in Wirklichkeit ist es die große Natur, die uns am Leben hält. Dein Leben gehört nicht dir allein - es ist universell“. So hat es Zenmeister Kodo Sawaki ausgedrückt. Wenn wir glauben, wir seien autark und autonom und müssten eine perfekte Schutzschicht tragen, sind wir auf dem Holzweg. Erst wenn wir zulassen, dass wir Risse haben, kommt das Licht herein.
Talk vom 05.05.2021 Wesensnatur-Buddha-Natur (Michael)
>>Die Meditation eines Anfängers ist wahrlich der vollständige Ausdruck der vollkommenen Erleuchtung<<. Dogen Zenji
Das ist endlich mal eine gute Nachricht. >>Die Meditation eines Anfängers ist wahrlich der vollständige Ausdruck der vollkommenen Erleuchtung<<. Die meisten Aussprüche und Lehren von großen Zen-Meistern beziehen sich ja eher darauf, wo wir vielleicht etwas falsch machen oder danebenliegen. Und dann ermahnen sie uns: beispielsweise nicht anzuhaften, sich von allem unabhängig zu machen, was ja nur das Gegenteil vom Anhaften ist, nicht zu denken, nicht zu begehren, nicht zu spekulieren, jederzeit zu üben, aber um Gottes willen dabei nichts zu erstreben. Und so weiter und so fort.
Dogen Senji lobt zur Abwechslung uneingeschränkt und bedingungslos Die Meditation eines Anfängers ist wahrlich der vollständige Ausdruck der vollkommenen Erleuchtung. Wunderbar! Das hören wir doch gern und das kann man gar nicht oft genug wiederholen.
Wir praktizieren alle ja aus den unterschiedlichsten Gründen. Vielleicht zunächst einmal nur, um etwas ruhiger zu werden. Weniger nervös. Besser zu schlafen. Konzentrierter zu arbeiten. Um der Geschäftigkeit des Alltags zu entkommen und die Stille kennenzulernen und in sie einzutauchen. Das sind alles legitime Gründe. Im Kern aber praktizieren wir, ob uns das so bewusst ist oder nicht, um unsere „wahre Natur“, man kann auch sagen, unsere „Wesensnatur“ zu ergründen.
Diese Wesensnatur können wir uns bildhaft vorstellen wie eine große Kristallkugel. Eine Kristallkugel, die aber von einer dicken, harten Dreckkruste überzogen ist. Mit unserer täglichen Meditation reiben wir jedesmal ein Stückchen von dieser Kruste ab. Wir putzen unsere Kristall-Kugel. Solange, bis aller Schmutz entfernt ist und die transparente Kugel rein hervortritt. Das mag viel Arbeit sein und vielleicht lange dauern. Aber trotzdem besteht unsere Wesensnatur schon von Anfang an aus diesem reinen transparenten Kristall. Deswegen sagt auch Hakuin Zenji: „Alles Seiende ist seiner Natur nach Buddha“. Wenn also jemand gerade mit seiner Praxis begonnen hat, verkörpert er oder sie die absolute Tugend, die sich in nichts von Shakyamuni oder Boddhidharma unterscheidet.
Wenn es schon keinen Unterschied zwischen der Meditation eines Anfängers und der von Shakyamuni Buddha gibt, dann existiert erst recht keinen Unterschied zwischen dem Anfänger und einem Schüler, der schon ein paar Jahre übt oder jemandem, der oder die schon Jahrzehnte praktiziert. Alle verkörpern und manifestieren sie gleichermaßen die reine Wesensnatur. So wie sie das Bild von der Kristallkugel beschreibt. Aber natürlich ist diese Kristallkugel nur eine Metapher. In Wirklichkeit hat sie weder Form noch Farbe, weder Gewicht noch Größe, auch keine Flecken oder Fehler. Sie hat keine Substanz. Sie kann nicht mit den Augen gesehen, mit den Ohren gehört oder mit den Händen berührt werden.
Wenn wir sagen, dass wir mit jeder Meditation die Kristallkugel putzen und die Dreckkruste abreiben, dann ist das nur ein unzureichendes Bild, um zu beschreiben, was wir da tun: Zazen ist also, so formuliert es Hakuin Zenji in seinem Lobgesang auf Zazen: „das Tor zur Einheit von Ursache und Wirkung, der Weg, der weder zwei noch drei ist“.
(Quellen und zum Weiterlesen: Koun Yamada: Das Tor des Zen – Grundlagen und Praxis)
Talk vom 26.04.2021 über Herzöffnung (Birgit)
>>Brich auf, so lange du kannst. In das Land deines Herzens<<
Rumi, persischer Mystiker
Brich auf, so lange du kannst. In das Land deines Herzens. Was heißt das für unsere Zenpraxis? Im Zen betonen wir sehr unsere Kraftmitte, das Zentrum im Unterbauch, unterhalb des Bauchnabels. In diesem Zentrum lassen wir uns mit dem Ausatem nieder. Das üben wir immer wieder im Zazen. Und tatsächlich brauchen wir diese Verankerung, um zur Ruhe zu kommen, um zu spüren, dass wir die Kraft haben, mit dem umzugehen, was das Leben uns gerade zumutet, dass wir Kraft haben, das zu tun, was ansteht.
Es geht im Zen aber auch darum, dass wir unser Herz öffnen. Es geht nicht nur um Zentrierung und Kraft, auch um Herzweisheit. Um Kokoro: Herzgeist, wie es im Zen heißt. Das Herz ist das zweite wichtige spirituelle Zentrum in uns. Das Herz ist nicht nur ein Muskel, es schlägt nicht nur unaufhörlich für uns. Das Herz fühlt, das wissen wir alle. Was weniger bekannt ist: Das Herz denkt gewissermaßen auch. Seine Zellen haben ein eigenes Gedächtnis und können Informationen speichern und austauschen. Das erklärt vielleicht, warum wir von Herzweisheit sprechen. Herz hat viele Dimensionen. Wir haben ein physisches, emotionales, energetisches und spirituelles Herz. Das spirituelle Herz gilt in allen Traditionen als das Zentrum von Liebe, Mitgefühl und auch von Weisheit. „Alle Dinge sind im Herzen“. So hat es der japanische Zenmeister Ryokan ausgedrückt.
Unser emotionales Herz ist sehr empfindsam. Wir alle haben Verletzungen und Kränkungen erlebt und gelernt, unser Herz zu schützen, vielleicht sogar zu verschließen. Diese Schutzmechanismen waren wichtig, aber irgendwann werden sie zur Falle. Unser Herz kann nicht heilen und reifen, wenn wir versuchen, uns unverwundbar zu machen. Und wir kommen auch nicht in die Freude, die eine wesentliche Herzensqualität ist. Damit wir unser Herz öffnen können für uns selbst und andere, für das Leben, müssen wir uns sicher fühlen. Sonst können wir das nicht riskieren. Deshalb ist es so wichtig, dass wir in der Meditation immer wieder damit beginnen, uns zu erden und in unserem Schwerpunkt zu verankern. Von da aus können wir uns auch unserem Herzen zuwenden und uns fragen: Wie geht es meinem Herzen gerade? Wonach sehnt sich mein Herz? Das fragen wir uns viel zu selten. Und manchmal bekommen wir in der Stille auch eine Antwort von unserem Herzen, obwohl wir gar keine Frage gestellt haben. Weil Hara und Herz ganz eng verbunden sind. Manchmal spüren wir in der Meditation Trauer oder Freude, weil das Herz Resonanz gibt, wenn es Raum bekommt. Unser Tempo im Alltag ist oft zu hoch, um die Stimme des Herzens zu hören. Aber in der Stille ist das möglich, wenn wir lauschen.
Was uns auch manchmal blockiert: Wir haben eine sehr enge Vorstellung von unserem Herzen. Doch das Herz, das es im Zen zu entdecken gilt, ist ein weiter Raum, in dem das ganze Universum Platz hat. Die buddhistische Lehrerin Pema Chödrön hat es wunderbar ausgedrückt: „Wenn du anfängst, dein Herz zu berühren, kannst du entdecken, dass es unermesslich weit ist.“ Ich stand neulich vor einem Magnolienbaum und habe die Blüten betrachtet, die gerade in einem wunderbaren Stadium sind. Ganz voll, im Aufgehen begriffen aber noch nicht vollständig geöffnet. Diese Schönheit hat mich so berührt, und in dem Moment war diese Erfahrung: Das Herz ist unermesslich weit. Lasst uns in unserer Meditationspraxis und im Alltag das Herz nicht vergessen und Rumi folgen „Brich auf, so lange zu kannst, in das Land deines Herzens.“
(Quelllen und zum Weiterlesen: Christa Spannbauer: Der Stimme des Herzens vertrauen)
Talk vom 19.04.2021 Meditation ohne Geheimnis (Michael)
>>Die Lehre des Buddha geht in die absolute Tiefe, in der es keine Gegensätze mehr gibt. Um das erkennen zu können, muss Ruhe walten. Wenn man nicht zu dieser Ruhe kommen kann, muss man so lange daran arbeiten, bis sie kommt, und arbeiten heißt täglich und mit Nachdruck und nicht, wenn es einem gerade einmal beliebt. Meditation ist nicht eine Art Hobby, das man so nebenbei betreiben kann, damit sie einem den Alltag ein bisschen erleichtert. Es gibt nur einen vernünftigen Grund zu meditieren: in die Tiefe zu schauen und erkennen zu können, wozu wir auf der Welt sind<<.
(Ayya Khema)
Ich hatte ja in meinem letzten Talk über Freude ein Zitat von Buddha gebracht:
>>In einem, der freudvoll ist, entsteht Verzückung. In einem, der verzückt ist, kommt der Körper zur Ruhe. Einer, dessen Körper zur Ruhe gekommen ist, empfindet Wohlgefühl. In einem, der von Wohlgefühl erfüllt ist, konzentriert sich der Geist<<.
Und dieses Zitat verweist auf die sogenannten Jhana-Stufen der Meditation. Ich hatte versprochen, darauf noch etwas näher einzugehen. Also habe ich mir das Buch von Ayya Khema rausgeholt. Ayya Kema war ursprünglich eine Berlinerin, Jüdin, die mit ihren Eltern vor den Nazis noch rechtzeitig fliehen konnte, und nach dem Krieg in den USA und Australien lebte. In den achtziger Jahren wurde sie auf Sri Lanka zur buddhistischen Nonne ordiniert und hat dann später im Allgäu das Metta Vihara Waldkloster gegründet. Bevor ich zu dem Kapitel mit den Jhana-Stufen kam, fand ich schon das Einleitungskapitel spannend und aufregend. Also müsst Ihr Euch mit den Jhana-Stufen noch etwas gedulden. Ich will erst etwas zusammenfassen aus dem Einleitungskapitel. Das Buch heißt: Meditation ohne Geheimnis.
Es wird ja gern aus vielem ein Geheimnis gemacht. Übrigens auch aus dem ChiGong und Taijichuan. Vielleicht interessant, dass auch in der Taiji-Literatur ein bedeutendes Buch heißt: >>Es gibt kein Geheimnis<<. Aber nun zu Ayya Khemas Buch: >>Meditation ohne Geheimnis<<.
Meditation ist keine irgendwie verworrene und persönliche Erfahrung, sondern eine allmähliche Klärung, die sich Schritt für Schritt vollzieht, schreibt sie im Einleitungskapitel. Die Erfahrung ist universell. Wenngleich sich die Erfahrungen im Detail jeweils etwas unterscheiden mögen. Das ist so, weil auch der menschliche Geist, soweit er nicht erkrankt ist, bei allen Menschen ziemlich ähnlich, um nicht zu sagen gleich funktioniert. Natürlich auch mit Abweichungen im Detail. Aber im Großen und Ganzen ist auch der menschliche Geist universell.
So abstrakt klingt das vielleicht banal und das Aufregende daran wird nicht auf Anhieb deutlich: Aber wenn man sich diesen Sachverhalt klar macht, heißt das, dass Meditation keine Frage ist von Glück oder besonderer Begabung, sondern dass wir alle diesen Weg gehen können. Erfolgreich gehen können. Ich selbst ertappe mich ja immer wieder dabei, dass ich andere für begabter halte, und denke, die können das halt besser oder haben die tieferen Einsichten. Aber das ist eben nichts anderes als eine Konditionierung des Geistes und der Erfahrung beziehungsweise psychischer Prägungen.
Wenn wir bestimmte Erfahrungen von der Meditation erwarten, und diese Erfahrungen nicht eintreten, dann könnten wir uns einreden, dass wir uns für Meditation einfach nicht eignen. Aber der Fehler liegt dann nicht bei unserer Fähigkeit oder Unfähigkeit zur Meditation, sondern darin, etwas Bestimmtes von der Meditation zu erwarten. Damit legen wir uns selbst rein.
Tatsächlich spielt es noch nicht einmal eine Rolle, ob wir schon jahrelang, oder jahrzehntelang und erst seit gestern meditieren, sagt Ayya Khema. Denn wir müssen an jeden Augenblick vollkommen frisch herangehen. Das ist Anfängergeist.
Wünsche und Erwartungen sind nicht auf der Realität aufgebaut, sondern entspringen einer Fantasie oder Hoffnung. Wenn wir aber, in den Worten Buddhas, die Dinge so sehen wollen, wie sie wirklich sind, müssen wir die Fantasien und Hoffnungen fahren lassen und ständig neu anfangen.
Also: Meditation ist nicht eine Art Hobby, das man so nebenbei betreiben kann, damit sie einem den Alltag ein bisschen erleichtert. Es gibt nur einen vernünftigen Grund zu meditieren: in die Tiefe zu schauen und erkennen zu können, wozu wir auf der Welt sind. Dass der Alltag dadurch leichter wird, weil viele der Schwierigkeiten, die wir bisher mit uns herumgeschleppt haben, dadurch von uns abfallen, oder zumindest teilweise abfallen, ist ein angenehmer Nebeneffekt, mehr nicht.
(Quellen und zum Weiterlesen: Ayya Khema: Meditation ohne Geheimnis)
Talk vom 12.04.2021 über den Körper (Birgit)
„Geh nicht in den Blumengarten, oh Freund, gehe nicht dorthin. In deinem Körper ist der Blumengarten. Nimm deinen Sitz auf den tausend Blütenblättern des Lotos, und da bestaune die unendliche Schönheit.“
(Kabir, indischer Mystiker)
Immer wieder vergessen wir den Körper und stecken fest im Kopf. Verlieren uns in unseren Gedanken, Sorgen, Plänen und Fantasien. Und wenn wir sehr in Gedanken und sehr verkopft sind, passiert es uns, dass wir nur bis zum Hals leben und den Rest des Körpers vergessen und das gar nicht mitkriegen.
Das ist in unserer Kultur sogar sehr verbreitet. Was wir daran merken, dass der ganze Bereich Kopf, Nacken Schultern oft sehr verspannt ist, weil da unsere Energie festhängt. Und so koppeln wir uns ab von der Weisheit des Körpers, weil wir die Weisheit irgendwo oben im Gehirn verorten und glauben, wir kommen nur über kluge Gedanken dorthin. Aber der Körper hat seine eigene Weisheit und sendet uns ständig Signale. Wir haben nur vergessen, wie wir die lesen können. Wir brauchen Übersetzungshilfe. Körper Deutsch- Deutsch-Körper. Das ist verrückt. Wir vertrauen Apps, Zahlen, Statistiken, Röntgenbildern inzwischen mehr als unserer eigenen Körperwahrnehmung.
In der Zenmeditation üben wir, wieder eins zu werden mit dem Körper. Zazen kann uns helfen, die Signale wieder wahrzunehmen und auch zu verstehen. Dieses Sitzen in Stille eröffnet einen Raum, in dem wir unserem Körper erlauben, so zu sein, wie er gerade ist. Ohne irgendetwas zu verändern. Das ist etwas, was wir normalerweise nicht tun. Wir sind oft damit beschäftigt, unseren Körper abzuschalten, wenn sich irgendwas nicht gut anfühlt, wenn uns der Körper gewissermaßen bei dem, was wir vorhaben, in die Quere kommt. Oder wir versuchen, ihn zu optimieren durch Ernährung, durch Sport. Was ja auch gut ist. Bewegung ist essentiell, aber wir tun es oft mit einer inneren Haltung von Druck, uns verbessern zu wollen und vergessen die Freude. Und ganz selten lassen wir den Körper einfach in Ruhe und genießen ihn und lauschen ihm. Das hat uns auch niemand beigebracht.
Einfach schlendern, einfach stehen, einfach sitzen. Wie geht das? Uns ist das Komplizierte inzwischen vertrauter als das Einfache. Wir müssen das offensichtlich lernen, einfach zu sitzen. Und es kommt uns schwer vor. Aber für den Körper ist es nicht schwer. Der Körper kennt den Weg in die Stille.
Es ist unser Geist, der uns zu schaffen macht und uns vorgaukelt, das sei anstrengend. Aber Sitzen, wenn wir eine gute aufrechte Haltung gefunden haben, ist nicht anstrengend. Wenn wir einen Weg finden, entspannt zu sitzen, ohne etwas Besonderes zu wollen, kann ein Gefühl von zu Hause sein entstehen.
Zu Hause sein in diesem wunderbaren Körper, den Kabir vergleicht mit einem Blumengarten. „Nimm deinen Sitz auf den tausend Blütenblättern des Lotos, und da bestaune die unendliche Schönheit.“
Talk vom 29.03.2021 über Freude (Michael)
>>Der Sinn der Dharmapraxis liegt nicht darin, sich zu perfektionieren. Er liegt darin, die eigene Liebe zu perfektionieren. Es geht darum, diese Welt von deinem ursprünglichen Verstand und deiner ursprünglichen Güte aus zu sehen und zu sagen: „Erstaunlich. Wunderbar. Lass mich diese Freude, diese Zärtlichkeit und dieses Mitgefühl gegenüber allen, die ich sehe, zum Ausdruck bringen“<<.
(Jack Kornfield)
Unser heutiges Zitat habe ich in einem Interview mit Jack Kornfield gefunden, aus dem neuen Heft von Buddhismus aktuell. Das den schönen Schwerpunkttitel FREUDE hat. Kornfield beschreibt und kritisiert in dem Gespräch, dass in unserer westlichen Kultur Ehrgeiz, Selbstkritik, Scham und allerhand negative Selbstkonzepte weit verbreitet und tief verwurzelt sind. Und dass sich diese Haltungen leider häufig auch in einer verbissenen Meditationspraxis spiegeln.
Ich habe das an mir selbst auch schon beobachtet. Dass ich meine morgendliche Meditation als Pflichterfüllung absolviere. Eigentlich habe ich gar keine Lust, mich auf mein Bänkchen zu setzen. Aber es gehört nun mal zu der Abmachung, die ich mit mir getroffen habe. Also mache ich das. Bring ich’s halt hinter mich. Der Tag ist ja noch lang. Und danach mach ich dann was Schönes. Dann kann aber passieren, dass das vermeintlich Schöne hinterher auch nur wieder etwas ist, was man pflichtgemäß Punkt für Punkt abhakt. Und wenn man Pech hat, macht man das sein ganzes Leben. Und versaut es sich dadurch.
Dagegen setzt Kornfield den Punkt, dass es bei der Meditation nicht um Selbstverbesserung geht. Das Ziel der Dharmapraxis ist es, dort ein Gefühl von Freiheit und Freude zu entwickeln und zu erfahren, wo wir uns gerade befinden. Ich glaube, dieser Nachsatz ist sehr wichtig, „wo wir uns gerade befinden“. Dorthin Freiheit und Freude holen.
Das heißt nicht, dass es in der Praxis oder im Leben keine schwierigen Zeiten gibt. Wir sollten uns um unsere Probleme und Sorgen kümmern und sie - so weit es eben geht - lösen. Aber uns nicht in ihnen verlieren. Sondern die Freude im Blick haben.
Das sagt übrigens auch der Buddha. Im Dhammapada, der Sammlung von Aussprüchen des Buddha, findet sich folgende Passage:
>>Lebe in Freude und Freiheit, selbst unter denen, die krank oder voller Sorgen sind. Lebe in Freude und mit einem friedlichen Herzen, auch unter denen, die streiten. Beruhige den Geist und das Herz und finde süße Freude darin, im Dharma zu leben<<.
Freude ist also ganz wichtig. Aber bitte nicht als Pflichtprogramm, das abzuhaken wäre. Auch für unsere Meditation ist das gut. Freude zu kultivieren heißt, sich die Kostbarkeit des Lebens zu vergegenwärtigen. Wenn wir lernen, Meditation mit einer freudigen Haltung zu üben, entwickeln wir Konzentration. Wir entwickeln tiefere Einsichten. Wenn unsere Meditation von Freude durchdrungen ist, können sich die Qualitäten von jhana entwickeln. Die sogenannten Jhana-Stufen, auf die ich gern demnächst noch ausführlicher eingehe, bezeichnen Etappen von Samadhi. Etwas, das Buddha selbst ausführlich beschrieben hat:
>>In einem, der freudvoll ist, entsteht Verzückung. In einem, der verzückt ist, kommt der Körper zur Ruhe. Einer, dessen Körper zur Ruhe gekommen ist, empfindet Wohlgefühl. In einem, der von Wohlgefühl erfüllt ist, konzentriert sich der Geist<<.
Das ist aus dem Samyutta Nikaya, einer anderen Sammlung von Buddhas Lehrreden.
Aber vielleicht es ist ein guter Start, es nicht nur so rum zu sehe, dass eine freudvolle Meditation unser Leben freudvoller macht. Sondern auch umgekehrt. Dass ein freudvoller Alltag auch unsere Meditation freudiger macht. Lasst uns das also im Blick behalten. Lasst die Freude in euren Alltag hinein. Beim Spazierengehen, beim Essen, beim Arbeiten, beim Ausruhen. Beim Blick aus dem Fenster. Lasst Freude zu, was immer ihr tut. Jetzt also, bei unseren nächsten 25 Minuten sitzen.
(Quellen und zum Weiterlesen: Buddhismus Aktuell Heft 2/2021)
Talk vom 22.03.2021 über Dankbarkeit (Birgit)
>>Ich bin dankbar für alles in diesem Leben: Dafür, dass ich in Armut geboren wurde, dafür, dass meinen Eltern früh gestorben sind, dafür, dass ich von Zuhause weglief und im Kloster Eiheiji alles Mögliche miterlebt habe. Dankbar dafür, dass ich heute, so wie eine Blume, die der Sonne entgegen wächst, mein ganzes Wirken nach dem Zenweg richten kann<<.
(Zenmeister Kodo Sawaki)
Das ist erstmal harter Tobak. Kodo Sawaki bedankt sich vor allem für die Schwierigkeiten, die ihm bereitet wurden. Aus der Perspektive des Zen ist ein Leben, in dem alles glatt läuft, was sowieso unrealistisch ist, gar nicht erstrebenswert. Denn es sind oft die Schwierigkeiten, die uns dazu bringen, uns tiefere Fragen zu stellen.
Wenn wir es nicht schaffen, trotz unserer Schwierigkeiten zufrieden zu sein, welchen Sinn hat dann unsere Meditationspraxis? Anders herum ausgedrückt: Es geht darum, dass wir Zufriedenheit erfahren mitten in allem, was schwierig ist. Mitten in allem, was fehlt. Mitten in allem, was uns gegen den Strich geht. Da haben wir gerade ein gutes Trainingsfeld. Dankbarkeit ist nicht das erste, was uns zur jetzigen Situation einfällt, aber Dankbarkeit wäre eine gutes Mittel gegen den Corona-Blues.
Dankbarkeit bedeutet, die Wahrnehmung wegzulenken von dem, was fehlt - Darauf sind wir normalerweise programmiert – und sie auf das zu lenken, was gut ist, was uns geschenkt wird, was klappt. Dankbarkeit ist eine Geistes- und Herzenseinstellung. Man könnte auch sagen: Dankbarkeit ist die Antwort unseres Herzens auf das, was uns geschenkt wird. Und das ist eine Menge. Aber wir nehmen es nicht wahr, weil es uns selbstverständlich erscheint.
Dankbarkeit bedeutet, anzuerkennen, was uns am Leben hält. Sauberes Wasser, frische Luft, Essen, liebe Menschen, eine Arbeit und vieles mehr. Und Dankbarkeit ist die Verbeugung vor den kleinen und großen Wohltaten, die uns widerfahren und vor den glücklichen Fügungen in unserem Leben.
Um zu sehen, was gut ist und klappt, müssen wir im Kontakt sein mit den Dingen, mit Lebewesen, mit Umständen, mit anderen Menschen. Und vielleicht wird uns das, wo es gar nicht so leicht ist, in Kontakt zu sein, jetzt zum ersten Mal richtig bewusst. Der Buddha hat gesagt: Wir leben in einem Netz von gegenseitiger Abhängigkeit. In unserer individualisierten Gesellschaft vergessen wir das. Wir denken, es hängt alles von uns ab. Das ist Quatsch.
Dankbarkeit erkennt an, dass wir mit allem in Verbindung sind. In dem Moment, wo wir Dankbarkeit spüren, drücken wir das zentrale Prinzip des Lebens aus. Verbundenheit.
Wenn wir gerade sehr unzufrieden sind und uns die Frage nach dem Sinn stellen, ist das ein Zeichen, dass uns Verbindung fehlt. Wenn wir wirklich im Kontakt sind mit uns, mit anderen und dem Leben, sind wir weniger auf uns selbst zentriert, und dann entsteht ganz natürlich Dankbarkeit. Wir müssen also nicht erst darauf warten, bis alles so ist, wie wir es uns erhoffen.
Es gibt sogar eine spezielle Meditationsform, die sich aus dem Zen heraus entwickelt hat, um Dankbarkeit in sich zu erwecken: Das ist Naikan. Naikan bedeutet Innenschau. Im Naikan stellt man sich in der Stille immer wieder drei Fragen: Was hat ein bestimmter Mensch für mich getan? Was habe ich für ihn getan? Welche Schwierigkeiten habe ich ihm bereitet? Ich habe das eine Woche lang gemacht, und am Ende lag ich auf dem Boden und war einfach nur gerührt und dankbar, am Leben zu sein. Und alles war gut. Meine Probleme waren nicht weg, aber sie hatten keine Bedeutung.
Im Zustand der Dankbarkeit ist keine Gier da. Es muss nicht anders sein, es muss nichts dazukommen und ich muss nichts loswerden. Ich bin dankbar für den gegenwärtigen Moment und lasse mich darauf ein. Dann kann der gegenwärtige Moment sich in seiner Einzigartigkeit zeigen und entfalten. Genau das üben wir immer wieder im Zazen.
(Quellen und zum Weiterlesen: Gerald Steinke: Naikan-Versöhnung mit sich selbst)
Talk vom 15.03.2021 über den Teeweg (Michael)
In Teestrauchblüten / Sich im Versteckspiel üben / Die kleinen Spatzen
(Issa)
Kobayashi Yataro, der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts geboren wurde (1763), war einer der großen Haiku-Meister Japans und nannte sich Issa.
Letztes Mal hatte ich ja das Thema Schläfrigkeit gesprochen: Um das nochmal zu betonen: Schläfrigkeit ist kein nebensächliches Problem, mit dem nur wir Laien gelegentlich konfrontiert sind, sondern ein ganz zentrales, großes Problem im Zen. Auch und gerade für die Profis, für die Mönche, die in langen Sesshins viele Tage lang, viele, viele Stunden am Tag und oft durch die Nacht meditierten. Und in diesem Zusammenhang ist die Geschichte des Grünen Tees und der Entwicklung der Teezeremonie zu betrachten. Das möchte ich heute noch ein wenig ausführen.
Die Teepflanze war ursprünglich nur im südlichen China beheimatet. Und schon für die frühen Daoisten war der Grüne Tee zunächst einmal Medizin und auch wichtiger Bestandteil des Trankes der Unsterblichkeit.
Dao – zur Erinnerung – bedeutet wörtlich Weg oder Pfad. Auch das Absolute, das Gesetz, Natur. Laotze schreibt: „Es gibt ein Ding, das allumfassend ist, das geboren wurde, ehe Himmel und Erde waren. Wie still! Wie einsam. Es steht allein und wandelt sich nicht. Es dreht sich ohne Gefahr für sich selbst und ist die Mutter des Alls. Ich keine seinen Namen nicht, und darum nenne ich es Dao, Weg.“
Daoismus und Zen erkennen gemeinsam das Weltliche als gleichberechtigt mit dem Geistigen. Genauso wenig unterscheiden sie zwischen groß und klein, wichtig und unwichtig. In den kleinsten Begebenheiten des Alltagslebens liegt zugleich das Große und Allergrößte. Alle großen Teemeister waren Zen-Schüler oder sogar Zenmeister und versuchten, den Geist des ZEN in den Alltag des Lebens zu tragen.
Die älteste uns bekannte Schrift vom Tee stammt von Luh-yü, der in der Mitte des achten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung geboren wurde. In dieser Zeit begannen Daoismus und Buddhismus sich im chinesischen Chan zu vereinigen, der dann später in Japan ZEN genannt wurde. Luh-jü verfasste die „heilige Schrift vom Tee“. Ein umfangreiches Werk von drei Bänden. In einem Kapitel behandelt er die Natur der Teepflanze, die geeigneten Geräte für die Ernte und im 3. Kapitel die richtige Auslese. In einem weiteren Kapitel beschreibt er die richtige Zubereitung. Darunter auch, welches Wasser man benutzen sollte und wie man es richtig aufkocht. Also Ihr seht, eine Wissenschaft für sich!
Weil grüner Tee wachmacht bzw. wachhält, haben vor allem zunächst chinesische Mönche in ihren Klöstern den Teeanbau betrieben.
Der japanische Zen-Meister Eisai, der im 12. Jahrhundert unserer Zeitrechnung lebte, war mit dem verwässerten Buddhismus seiner Epoche unzufrieden, und er reiste deshalb nach China, um den Chan-Buddhismus zu studieren. Er brachte von dort nicht nur die Zen-Schule von Linji, (jap. Rinazi) mit, sondern auch Tee-Samen und pflanzte sie in der Nähe von Kyoto an. Die Gegend ist heute noch dafür berühmt, den besten Tee der Welt hervorzubringen. Eisai gründete dann den ersten Zen-Tempel Japans im abgelegenen Kyushu. Die Kultivierung des Tees und die Begründung eines eigenen Teeweges geht auf Meister Eisai zurück. Tee-Zeremonie und andere Tee-Ritual entwickelten sich allmählich zu einer Form der höchsten Lebenskunst
Und die Teemeister haben zugleich die japanische Kunst geprägt. In Architektur, Gartenanlagen, Keramik, Lackarbeiten und Malerei. Es gab insbesondere einen Teemeister, der die Ästhetik das Chadô vollkommen als Weg des Lebens verwirklichte. Er begründete Chado als Weg, das Leben selbst in ein Kunstwerk zu verwandeln. Dieser Teemeister war Sen Rikyu (1522-1591).
Sowohl in den Künsten als auch in der Politik war Sen Rikyu eine führende Gestalt seiner Zeit. Seine ästhetischen Ideale bilden das Herz von Japans Künsten und Kunsthandwerk. Sen Rikyu fasste die Grundprinzipien des Chadô mit folgenden vier Begriffen zusammen: Wa, Kei, Sei und Jaku:
Wa: Harmonie: bedeutet die Harmonie zwischen den Menschen, zwischen den Menschen und Natur, und nicht zuletzt die Harmonie der Teegerätschaften und der Art, sie zu gebrauchen.
Kei: Achtung und Ehrerbietung: wird allen Dingen entgegengebracht und entsteht aus der aufrichtigen Empfindung des Dankes für ihr Sein.
Sei: Reinheit, Klarheit: umfasst die Reinheit der Dinge und die Klarheit des Geistes.
Jaku: die Ruhe und der Friede des Geistes, die aus der Verwirklichung der drei ersten Prinzipien entspringt. Mit anderen Worten: Die Stille
Den Teeweg zu gehen, bedeutet, das Vergängliche zurückzulassen und am Ewigen teilzuhaben. Die Zelebrierung des Tees soll zugleich empfänglich machen für das Vergehen und das Dahinschwindende. Insofern ist der Teeweg vielleicht nicht gleichbedeutend mit dem ZEN-Weg, aber doch sehr, sehr nahe.
Quellen und zum Weiterlesen: Okakura, Kakuzo: Das Buch vom Tee, Frankfurt 1988 (Insel-Verlag)
Talk vom 1.3.2021 Umgang mit unangenehmen Gefühlen (Birgit)
>>Wie eine Sternschnuppe, eine Luftspiegelung, eine Flamme / eine magische Illusion, den Morgentau, eine Luftblase / wie einen Traum, einen Blitz oder eine Wolke / So sollst du alle zusammengesetzten Dinge betrachten<<. (Chandrakirti)
Alles, was wir erleben, in uns und im Außen, hat keine feste, beständige Substanz. Alles taucht auf und vergeht. Das lehrt uns auch Zen. Aber was nutzt uns das, wenn wir von heftigen, unangenehmen Gefühlen gebeutelt werden? Die fühlen sich ja gerade nicht an wie eine Luftspiegelung, eine Flamme, ein Blitz oder eine Wolke. Sondern Gefühle können sehr mächtig werden und uns Angst machen. Hört diese Trauer denn nie wieder auf? Macht mich diese Wut irgendwann kirre?
Unangenehme Gefühle sind eine große Herausforderung in der Meditation und natürlich in unserem Alltag. Sie sind herausfordernder als Gedanken, die ja auch sehr penetrant werden und unseren Geist kapern können. Aber Gefühle sind noch viel unmittelbarer und entziehen sich unserer Kontrolle. Es kann sich so anfühlen, als würden sie vollkommen von uns Besitz ergreifen.
Die Empfehlung im Zen lautet, ganz in die körperliche Wahrnehmung eines unangenehmen Gefühls einzutauchen. Das heißt, wir sind eingeladen, das Gegenteil von dem zu tun, was wir normalerweise machen. Wir flüchten vor den unangenehmen Gefühlen oder versuchen sie zu analysieren. Aber im Zen geht es darum, dass wir uns diesen Gefühlen öffnen, weil sie nur dann abklingen können. Das Entscheidende ist: Wir bleiben bei der körperlichen Wahrnehmung des Gefühls. Wir rufen uns nicht nochmal den Auslöser ins Gedächtnis. Die neue Lockdown-Diskussion, die mich vielleicht auf die Palme bringt, und ich habe doch auch recht damit, und es ist doch völlig klar, dass mich das wütend macht. Wir verzichten darauf, das alles nochmal im Kopf durchzuspielen. Wir verzichten darauf, Argumente zu finden, das Gefühl zu analysieren und tauchen ganz ein in die körperliche Wahrnehmung. Vielleicht gibt es eine Stelle im Körper, wo wir das Gefühl besonders deutlich spüren. Vielleicht ist es auch überall, und es kommt uns so vor, als ob wir gleich platzen. Und jetzt ist wichtig, dass wir den Gedanken, die auftauchen, nicht folgen. Der Kopf sagt vielleicht: so ein Mist, dass das Gefühl wieder da ist. Das ist zu viel. Das hältst Du nicht aus. Aber die Empfehlungen, die vom Kopf kommen, sind meistens nicht so hilfreich. Es ist besser, bei der körperlichen Wahrnehmung zu bleiben.
Jedes Gefühl klingt wieder ab. Gefühle kommen, fluten an, haben einen Höhepunkt und ebben wieder ab. Es hilft uns, wenn wir sie wirklich wahrnehmen. Wo im Körper ist das Gefühl? Hat es eine Farbe? Eine Form? Eine Temperatur?
Ein unangenehmes Gefühl ist wie ein Gewitter, damit es wieder abklingt, müssen wir uns mitten hineinstellen.
Spannend ist wahrzunehmen, was passiert, wenn wir bei der reinen körperlichen Wahrnehmung bleiben. Es kann sein, dass das Gefühl sich verändert, stärker wird, gleichbleibt, sich abschwächt, wandert.
Es ist egal, was damit geschieht, es geht nur darum, dass wir es wahrnehmen. Immer wieder aussteigen aus dem Denken und Analysieren, zurückkehren zur körperlichen Wahrnehmung.
Und das Schöne ist: Auf diese Weise können wir realisieren, da ist ein Gefühl, aber wir sind nicht dieses Gefühl. Wir sind mehr. Das Gefühl mag sehr heftig sein, und gleichzeitig gibt es in uns einen Teil, der das Gefühl wahrnehmen kann, der unberührt ist von der Trauer oder Wut. Der Teil des Geistes, der das Gefühl wahrnimmt, gerät nicht in Wut oder Trauer. Mit diesem Teil vertraut zu werden, dabei unterstützt uns die Praxis des Zazen.
Talk vom 22.02.2021 über Schläfrigkeit und Sitzhaltung (Michael)
>>Es ist wie bei einem See, der aufgewühlt und voller Wellen ist: Wir können nicht auf den Grund blicken. Durch Zazen entwickeln wir eine neue Haltung, die sich klärend auf den Geist und heilsam auf den Körper auswirkt. Das zu finden ist der Schlüssel des Zazen: Die Haltung, in der Körper und Bewusstsein wieder eins werden - unbeeindruckt von unserem trennenden, unterscheidenden Denken. Daraus ergibt sich alles Weitere<<. (Kodo Sawaki)
Heute möchte ich über Form sprechen. Über unsere Sitzhaltung. Denn Fragen nach der Form sind ja nicht nur Formfragen. Sie sind essentiell. Dass wir uns seit dem Lockdown nur über zoom treffen können, hat ja einige Nachteile. Aber auch einige Vorteile. Einer davon ist, dass wir uns, falls wir auf den Bildschirm schauen, gegenseitig sehen können. Wenn wir in einer Reihe nebeneinandersitzen, geht das nicht.
Zunächst mal zeigt sich, dass ein Problem entstehen kann, wenn wir uns nach einem langen Arbeitstag abends um halb acht treffen. Manche von uns sind dann rechtschaffen müde. Und wenn wir dann im Zazen sitzen, kann es passieren, dass wir anfangen zu träumen und sogar einschlafen. Das ist einerseits normal. Ich selbst bin ich auf vielen Sesshins eingeschlafen und fand das auch immer ganz schön und erholsam. Aber das ist überhaupt nicht der Sinn unserer Übung. Ganz im Gegenteil: Schläfrigkeit gilt in den alten Quellen des Zen sogar als Haupthindernis der Meditation und ist sogar Begierden und Hass als weitere Hindernisse gleichgestellt.
Müdigkeit während der Meditation ist ein ganz großes Thema im Zen und es ranken sich viele Geschichten darum. Vielleicht kennt Ihr die Geschichte von Bodhidharma, dem ersten Patriarchen des chinesischen Chan-Buddhismus. Von ihm geht die Sage, er soll sich die Augenlider abgeschnitten haben, um während der Meditation nicht einzuschlafen. Ich würde das nicht wörtlich nehmen. Und rate keinesfalls dazu. Aber die Geschichte zeigt, dass selbst einer der größten Zen-Meister, ein Patriarch, immer wieder stark mit der Müdigkeit zu kämpfen hatten und sich sehr anstrengen musste, nicht einzuschlafen.
Eine andere Geschichte ist die des chinesischen und später japanischen Teewegs. Es war früh bekannt, dass grüner Tee wachmacht bzw. wachhält. Und deswegen waren es chinesische Mönche und ihre Klöster, die zunächst den Teeanbau betrieben haben. Vor allem, um ihn selbst zu trinken und in Perioden von langen Meditationen wach zu bleiben. Daraus entstanden dann auch die verschiedenen Teezeremonien. Eine davon praktizieren wir ja auch. Und der sogenannte Tee-Weg, Chadô (jap.), hat sogar eine eigene Schule begründet und entwickelt. Ich gehe darauf gern in einem der nächsten Talks nochmal etwas ausführlicher ein. Das ist eine sehr spannende Geschichte.
Also: wach zu bleiben und nicht schläfrig zu werden, ist eine wichtige Angelegenheit beim Zen. Und wir sollten darauf achten. Eine andere wichtige Angelegenheit ist die der korrekten Sitzhaltung. Wir haben darüber schon verschiedentlich gesprochen und ich möchte nur soviel wiederholen, dass es wichtig ist, möglichst aufrecht und gerade zu sitzen. Mit dem Schwerpunkt nach unten. Das heißt, das Becken leicht erhöht. Den Kopf ebenfalls gerade halten, als sei er mit einem Bindfaden oben an der Decken befestigt. Die Augen waagerecht und die Nase senkrecht. Und dann vor allem ist es wichtig, den Körper während der Sitzperiode nicht zu bewegen. Auch nicht die Hände. Sich nicht zu kratzen, auch wenn es irgendwo juckt. Sich nicht die Nase zu putzen. Wenn man gähnen muss, kann man gähnen. Aber man muss sich ausnahmsweise nicht die Hand vor den Mund halten. Den Körper vollständig stillzuhalten ist das Ziel. Wenn wir irgendwelchen Reflexen nachgeben, kippen wir uns selbst aus der guten Meditationshaltung.
Nur wenn wir korrekt sitzen, kann auch der Körper in die Stille finden. Die Stille des Körpers wiederum ist die Voraussetzung, dass der Geist in die Stille finden kann. Wird der Körper stillgehalten und nicht durch Bewegungen stimuliert, sendet dieser in der Regel auch keine Reize aus, die bei der Meditation stören können. Wenn er das doch tut, etwa in Form eines Juckreizes und eines Knieschmerzes, kann es hilfreich sein, den Reiz einfach nur zu beobachten. Wie er sich anfühlt, wie er sich verändert, wie er sich bewegt, vielleicht. Und wie er dann auch irgendwann verschwindet. Denn das wird garantiert passieren.
Wenn wir aufrecht und still auf unserem Meditationsplatz sitzen bleiben können, dann hilft diese ruhige Körperhaltung unserem Geist, ebenfalls in die Stille zu kommen.
Es ist kein Zufall, dass nahezu alle wichtigen Zen-Bücher ein eigenes Kapitel oder zumindest einen ausführlichen Abschnitt enthalten über die korrekte Körperhaltung. Egal, ob man ein zeitgenössisches Buch aufschlägt oder einen Klassiker. Das unterstreicht nochmals eindrücklich wie wichtig dieses Thema im Zen ist. Und dass wir nicht allein damit sind, wenn wir Schwierigkeiten damit haben. Alle Zen-Praktizierenden vor uns hatten auch damit Schwierigkeiten. Aber lasst uns diese Schwierigkeit meistern, statt ihr einfach nachzugeben.
Jetzt in der nächsten und übernächsten Sitzrunde wollen wir probieren, so still zu sitzen wie ein Berg. Und keinen Mucks zu tun.
Talk vom 15.2.2021 über Stabilität (Birgit)
Ein wesentlicher Punkt im Zen ist: Alles verändert und wandelt sich. Es gibt nichts in unserem Leben, was dauerhaft Substanz hat, alles ist dem Gesetz der Vergänglichkeit unterworfen. Das hat auch eine gute Seite: Auch Schmerz ist vergänglich, aber auch alles Schöne. Anstrengende Phasen gehen irgendwann vorbei, aber auch inspirierende, leichte Phasen. Es gibt keine wirkliche Stabilität im Außen. Trotzdem neigen wir immer dazu, im Außen nach Stabilität zu suchen und uns an etwas festzuhalten. Zen fordert uns dazu auf, die Stabilität innen zu suchen.
In der Sitzhaltung finden wir Stabilität. Die Haltung ist wie ein Berg, festes Fundament, im Oberkörper offen und flexibel. In dieser Haltung kann uns so schnell nichts umwerfen
Der Atem gibt uns Stabilität, auch wenn es draußen drunter und drüber geht, der Atem ist ein verlässlicher Anker, wir können uns immer wieder damit verbinden. Egal wie chaotisch unser Leben ist, egal, wie es in uns aussieht, der Atem kommt und geht, eine Wellenbewegung, an die wir uns anlehnen können.
Stabilität entsteht auch durch Anhalten, Innehalten, was wir im Zazen üben, wir zentrieren uns, bemühen uns um Klarheit im Geist, das gibt Stabilität. Und das können wir auch im Alltag immer wieder tun. Einen Moment anhalten, uns zentrieren, ein par Atemzüge bewusst wahrnehmen. Einatem, Ausatem… Oder für einen Moment die Füße auf dem Boden spüren, mitkriegen, der Boden trägt mich, auch wenn sonst alles wackelt.
Natürlich brauchen wir auch eine gewisse Stabilität im Außen, heilsame Routinen. Dinge, die uns stützen, aufbauen. Gehen ist sehr stabilisierend, eine Kollegin von mir geht gerade jeden Tag eineinhalb Stunden, egal, wie voll ihr Arbeitstag ist, eineinhalb Stunden gehen, das stabilisiert sie.
Einfachheit stabilisiert uns. Wenn alles sehr kompliziert und unübersichtlich wird, ist es gut, wenn wir unsere Tage entkomplizieren, vereinfachen, zu einfachen Abläufen zurückkehren. Weglassen, reduzieren. Das gibt Stabilität.
Und, das knüpft an das Thema Gelassenheit vom letzten Montag: Akzeptanz bringt Stabilität. Anerkennen, was jetzt gerade ist und wie es ist. Sowohl wie gerade meine äußere Situation ist als auch meine innere. Ja sagen zu dem, was ich gerade in mir vorfinde, auch wenn es mir nicht gefällt. Nicht sofort reaktiv werden, sondern erstmal annehmen, das bringt uns auch Stabilität. Wir haben jederzeit die Möglichkeit, zur Erfahrung dieses Augenblicks zurückzukehren, uns gewissermaßen anzulehnen an diese Erfahrung jetzt.
Talk vom 08.02.2021 über Geist und Gehirn (Michael)
>>Den Dingen geht der Geist voran, der Geist entscheidet.<< (Buddha)
Schon letztes Mal hatte ich ein Zitat gebracht, das vom Geist gehandelt hat. Falls Ihr Euch erinnert: >>Wenn die Umstände des Lebens uns anwehen, bietet ein Geist, der unerschüttert, makellos, unbekümmert und fest ist, den größten Schutz.<< (Sutta Nipata 2,4)
Ich möchte heute gern etwas darauf eingehen, was Geist eigentlich ist, oder Gehirn. Manchmal nehmen wir das ja synonym. Manchmal betonen wir den Unterschied. Das Gehirn ist erst mal, grob gesagt, die materielle Voraussetzung, dass so etwas wie Geist entstehen kann. Die Wohnstätte des Geistes, vielleicht. Der Geist ist vielschichtig: Wir haben die fünf Sinnesbewusstseinsarten – das Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten sowie den sechsten Sinn, das geistige Bewusstsein, das wir vor allem in Form des Denkens kennen. Aber auch der Wille gehört dazu, Wünsche, Abneigungen und Gefühle. Angenehme wie unangenehme.
Ob etwas einen Geist hat, lässt sich vielleicht beantworten, wenn man danach fragt, ob es Glück und Leid erlebt. Menschen und Tiere erfahren Glück und Leiden, bei „unbelebter“ Materie wie Steinen trifft das wahrscheinlich nicht zu.
Geist und Materie sind in ihrer Natur eins. In unserem Körper erzeugt das Gehirn unseren Geist. Allgemeiner gesprochen gehören zum Geist auch noch unser Nervensystem, unser Körper, die Natur und die menschliche Kultur. Doch der Einfachheit halber konzentrieren wir uns auf das Gehirn. Weil es die unmittelbare, materielle Grundlage des Geistes ist.
Gleichzeitig erzeugt aber auch der Geist das Gehirn, da an geistiger Aktivität neuronale Aktivität beteiligt ist, die physische Spuren hinterlässt. Manchmal empfiehlt es sich, sich mehr auf den Geist oder mehr auf das Gehirn zu konzentrieren. Dennoch handelt es sich um zwei Aspekte des gleichen Vorgangs.
Worin besteht die Natur des Geistes? Der Geist besteht aus den Erfahrungen und Informationen, die von einem Nervensystem vorgelegt werden. Er verfügt über vier Merkmale:
Er ist unbeständig: das Bewusstsein ist ein Strom, ein Fluss der Veränderung. Der Geist, der durch das Nervensystem eines bestimmten Körpers repräsentiert wird, teilt sich das Schicksal mit diesem Körper – er wird schließlich vergehen.
Er ist zusammengesetzt: Erfahrungen setzen sich aus vielen Teilen zusammen. Aus körperlichen Empfindungen, Gedanken, Wünschen und Gefühlen.
Er ist abhängig: Unsere Erfahrungen existieren und verändern sich auf Grund von Ursachen.
Und worin besteht die Natur des Gehirns? Ebenso wie der Geist ist auch das Gehirn unbeständig: tagtäglich entstehen Hunderte von neuen Nervenzellen, während gleichzeitig andere Zellen des Gehirns absterben. Laufend werden bestehende Verbindungen zwischen Zellen und Synapsen erneuert.
Und das Gehirn ist auch zusammengesetzt: Aus drei Hauptteilen: Hirnstamm, Subkortex und Neokortex. Insgesamt aus ca. 85 Milliarden Nervenzellen sowie weitere 100 Milliarden Gliazellen. Diese Neuronen sind durch ein Netzwerk mit mehreren Hundert Billionen Synapsen miteinander verbunden.
Abhängig: Was in einem Teil des Gehirns geschieht, beeinflusst was in anderen Teilen geschieht. Die Aktivität der Nervenzellen interagiert mit der Aktivität der Gliazellen. Das Gehirn interagiert mit dem Nervensystem und dem gesamten Körper, der mit der Welt interagiert.
Ihr erinnert Euch vielleicht an das Hanya Shingo, in dem wir rezitieren: Shiki fu i ku / ku fu i shiki / „Form ist nicht verschieden von Leere und Leere ist nicht verschieden von Form“. Mit „Leere“ ist aber nicht Nichts gemeint. Sondern bar jeder dauerhaften, einheitlichen, sich selbst erzeugenden Essenz. Wenn wir erkennen, dass unser Gehirn wie auch unser Geist keine dauerhafte, einheitliche und sich selbst erzeugende Essenz besitzt, dann können wir auch verstehen, dass Geist und Gehirn in diesem Sinn leer sind.
Das heißt nicht, dass Erfahrungen deshalb bedeutungslos wären. Gedanken, Freude, Kummer – das alles existiert, aber eben leer. Der Bewusstseinsstrom existiert, aber eben leer. Der Geist mit seinen unbewussten Elementen ist leer.
Und von hier ist es auch nur noch ein kurzer Sprung zum Selbst. Das Selbst im Geist ist nicht beständig, einheitlich und unabhängig. Folglich ist es unbeständig, zusammengesetzt und abhängig. Beobachten wir den Geist, können wir immer wieder ein angenommenes Selbst erkennen das … irgendwo… existiert. Dieses vollständige Ich wird uns vorgegaukelt, wenn wir Pläne schmieden, Probleme lösen, tagträumen und grübeln. Doch wenn wir uns auch noch so anstrengen, werden wir kein vollständiges und beständiges Selbst in unserer tatsächlichen Erfahrung finden.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass unsere Erfahrungen von „Ich“ und „mein“ ebenso wie ihre neuronalen Grundlagen unbeständig, zusammengesetzt und abhängig sind. Das scheinbare Selbst ist leer. Unsere Meditation ist der Königsweg, um dieses zunächst theoretische Wissen in seiner ganzen Tiefe und Tragweite zu erforschen und allmählich oder plötzlich erkennen. Das kann uns auch ganz nebenbei auch dabei unterstützen, mehr Gelassenheit zu entwickeln.
Quellen und zum Weiterlesen: Hanson, Rick: Achtsam wie ein Buddha, München 2020 (Irisana-Verlag)
Talk vom 25.01.2021 fester Geist (Michael)
>>Wenn die Umstände des Lebens uns anwehen, bietet ein Geist, der unerschüttert, makellos, unbekümmert und fest ist, den größten Schutz.<< Sutta Nipata 2,4
Wie die meisten unserer Zitate klingt das erst einmal wunderbar. Einen unerschütterten, makellosen und festen Geist hätten wir doch bestimmt alle gern. Aber warum haben wir den nicht? Schon von Natur aus? Warum müssen wir uns stundenlang, tagelang, jahrelang mit Meditation abmühen, und haben ihn dann vielleicht immer noch nicht? Oder zumindest nur mal ab und zu? Dann aber, wenn wir ihn am nötigsten hätten, ist dieser Geist meistens abgelenkt, erschüttert und überhaupt nicht fest.
Wir haben diesen festen Geist nicht, weil evolutionär ein anderer Geist vorteilhafter war. Die Evolution hat unter den harten Bedingungen der Alltagsrealität ein Gehirn hervorgebracht und entwickelt, das eher an negativen Ereignissen geschult worden ist. Man kann das den Negativitätseffekt des Gehirns nennen.
Vereinfacht gesagt, hat uns die Geschichte gelehrt, zwischen Zuckerbrot und Peitsche zu unterscheiden. Das Zuckerbrot bestand vor allem aus der Nahrung, auf deren Suche wir ständig waren. Und die Peitschen, das waren die alltäglichen Gefahren, die überall lauerten. Wie zum Beispiel wilde Tiere. Auf Nahrung konnten wir auch mal ein paar Tage verzichten. Wir konnten es uns aber nie leisten, uns einmal zu oft der Peitsche auszusetzen, denn das hätte geheißen: nie mehr Zuckerbrot. Folglich suchte und sucht unser Gehirn geradezu nach schlechten Nachrichten. Konzentriert sich übermäßig auf sie, reagiert übermäßig auf sie und speichert all das Schlechte auch noch dauerhaft im Gedächtnis ab, mitsamt aller emotionalen und somatischen Rückstände.
Also: was schmerzhaften, unangenehme Erfahrungen angeht, kann man unser Gehirn mit einem Klettband vergleichen. Wenn es um freudvolle, nützliche Erfahrungen angeht, verhält es sich eher wie Teflon. Millionen von Jahren war dies unserem Überleben förderlich. Heute ist es jedoch eher schädlich. Und erzeugt unnötiges Leid und viele unnötige Konflikte.
Aber nun endlich zu den guten Nachrichten: Unser Geist besteht aus Informationen und Erfahrungen, die von unserem Nervensystem repräsentiert werden. Unser Bewusstseinsstrom beinhaltet einen Informationsstrom in einem Nervenaktivitätsstrom. Das bedeutet, dass wir unseren Geist dazu benutzten können, unser Gehirn zu verändern, damit dieses wiederum unseren Geist verändert. Das Stichwort hierzu lautet: Neuroplastizität.
Vereinfacht gesagt, stärken wir mit unserer Meditation zum Beispiel eine größere Kontrolle der Amygdala. Das bedeutet, dass wir weniger häufig überreagieren. Gleichzeitig entsteht auch mehr Gewebe im Hippocampus, der uns dabei hilft, aus Erfahrungen zu lernen. In Stresssituationen schütten wir dann auch weniger Kortisol aus. Auch andere Gehirnregionen werden gekräftigt. Wie zum Beispiel die Insula, die bei der Eigenwahrnehmung und der Empathie für die Gefühle anderer Menschen eine Rolle spielt.
Mit anderen Worten: Es mag zwar nicht ganz leicht sein, >>Wenn die Umstände des Lebens uns anwehen<<, einen Geist bereit zu haben, der unerschüttert, unbekümmert und fest ist. Aber wir können mit jeder Meditation einen kleinen weiteren Schritt in diese Richtung tun.
Quellen und zum Weiterlesen: Hanson, Rick: Achtsam wie ein Buddha, München 2020 (Irisana-Verlag)
Talk vom 11.01.2021 über Begehren und Bedürfnisse (Michael)
>>So wie ein gefällter Baum wieder wächst,wenn die Wurzeln unbeschädigt und kräftig sind, so keimt auch das Leid wieder und wieder, bis die Neigung zu begehren mit den Wurzeln ausgerissen ist.<< Dhammapada 338
Das Zitat ist aus dem Dhammapada. Das ist eine Sammlung von Aussprüchen, die direkt dem Buddha zugeordnet werden, der ja bekanntlich nur mündlich gelehrt hat. Was soll das heißen, dass man das Begehren mit den Wurzeln ausreißen soll? Wie soll das gehen? Zunächst mal ist es wichtig, Begehren von Bedürfnissen zu unterscheiden. Bedürfnisse sind natürlich. Auch ein vollkommen erwachter Buddha hat Bedürfnisse: Hunger, Durst, er geht wie wir aufs Klo. Bedürfnisse zu befriedigen gehört zu unserer Natur.
Allgemein gesprochen sind die Grundbedürfnisse von uns alle die nach Sicherheit, Befriedigung und Verbundenheit. Man kann auch sagen, Schaden vermeiden, Belohnung suchen und sich an andere binden.
Schmerz oder drohender Schmerz verweisen auf das Bedürfnis nach Sicherheit. Es wird uns häufig durch Empfindungen von Angst, Wut oder Hilfslosigkeit angezeigt.
Verluste und Hindernisse verweisen auf das Bedürfnis nach Befriedigung. Die dazu gehörenden Gefühle sind Enttäuschung, Frustration, Langeweile.
Trennung, Konflikte und Zurückweisungen verweisen auf das Bedürfnis nach Verbundenheit. Angezeigt wird uns dieses Bedürfnis durch Empfindungen von Unsicherheit, des Verlassenseins, Scham, Neid, Feindseligkeit.
Die Frage, die sich stellt, lautet: Können wir unsere Bedürfnisse befriedigen, ohne das Begehren und die Gier? Ohne das Leid, das durch Gier und Begehren entsteht?
Neurophysiologisch entspricht dem Begehren einer neurohormonellen Stressreaktion: die Amygdala signalisiert dem Sympathikus, sich auf Flucht oder Kampf vorzubereiten, oder stellt den Parasympathikus darauf ein, auf Erstarren umzuschalten. Gleichzeitig fordert sie beim Hypothalamus Stresshormone an wie Kortisol und Adrenalin. Damit das alles funktioniert, werden andere Körperfunktionen vorübergehend auf Eis gelegt. Zum Beispiel die Stärkung des Immunsystems. Das alles passiert neurophysiologisch beim Begehren. Wir können es als reaktives Modell bezeichnen.
Können wir unsere Bedürfnisse auch ohne diese Muster von Begehren regulieren? Das funktioniert tatsächlich und wir können daran arbeiten. Auch durch unsere Meditation. Wir können das Grundgefühl stärken, dass unsere Bedürfnisse bereits zur Genüge erfüllt sind. Ein paar Beispiele:
Die Schlüsselressource für Sicherheit ist Entspannung. Die Erkenntnis, dass es uns im Grunde gutgeht. Dass wir uns geborgen fühlen und in der Ruhe und Stille uns stärken können.
Die Schlüsselressource für Befriedigung sind Dankbarkeit, Freude und das Gefühl, was wir täglich alles geschafft haben.
Die Schlüsselressource für Verbundenheit sind das Gefühl, nicht ausgeschlossen zu sein, gesehen zu werden und wertgeschätzt zu werden. Auch Mitgefühl und Selbstwertgefühl sind hilfreich.
Und nicht zuletzt sind die Gefühle zu lieben und geliebt zu werden eine verlässliche Ressource, uns sicherer, befriedigter und verbundener zu fühlen.
Quellen und zum Weiterlesen: Hanson, Rick: Achtsam wie ein Buddha, München 2020 (Irisana-Verlag)